Christian Rainer: Diesel-Dummheit

Sind deutsche Manager ein Sonderfall? Und was sagt uns das über Politiker allgemein und Sebastian Kurz wie auch Christian Kern im Besonderen?

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Deutschland kämpft sich aktuell durch den wuchtigsten Wirtschaftsskandal seiner Nachkriegsgeschichte. Mehrere Autoproduzenten haben ihre Abgaswerte manipuliert und damit Käufer (zigtausendfach auch österreichische), die deutsche und die internationale Öffentlichkeit sowie die Konkurrenz getäuscht. Zeitgleich wird bekannt, dass es diskreten Informationsaustausch, möglicherweise auch kartellhaftes Verhalten, zwischen deutschen Autoproduzenten über Zulieferpreise und Ähnliches gab. Es wird zu strafrechtlichen Verurteilungen kommen – für welche Delikte und bis zu welchem Level im Management-Organigramm, muss sich zeigen.

Die Ergebnisse des "Diesel-Gipfels" der vergangenen Woche sind peinlich.

Der Skandal trifft Deutschlands prominenteste Industriegruppe, einen großen Arbeitgeber und den Stolz einer Wirtschaftsnation, die ihre Strahlkraft in den meisten Bereichen an die USA und an Asien verloren hat. Entsprechend hilflos reagiert die Politik. Die Ergebnisse des "Diesel-Gipfels" der vergangenen Woche sind peinlich. Die Produzenten wurden aufgefordert, Software-Updates durchzuführen. Das kostet fast nichts und bringt ebenso wenig.

Wie konnte es dazu kommen? Warum bricht die Elite der Elite der deutschen Gesellschaft mit Vorsatz oder grob fahrlässig Gesetze? Wie ist es um die moralische Verlässlichkeit der Manager und Unternehmer bestellt, die ja nicht nur in Deutschland das Rückgrat des Staates bilden – als Träger des Wohlstands der Bürger und als Führungsschicht? Was unterscheidet sie von jener anderen Elite, den Politikern, mit der sie gemeinsam für das Fortkommen jedes Einzelnen und der ganzen Welt verantwortlich sind?

"Die Wirtschaft kennt keine Moral", schrieb ich an dieser Stelle im Jänner dieses Jahres. Damals war mir daran gelegen, zu begründen, warum einerseits Unternehmen keine Vorbehalte gegenüber Geschäften mit einem Russland haben, das sich von unserer Wertewelt verabschiedet hat (beziehungsweise niemals dorthin gekommen war), warum andererseits die Finanzmärkte auf die Wahl von Donald Trump mit Euphorie reagiert hatten. Damals argumentierte ich, ein "komplexes Motivmuster" bei der Führung ihrer Betriebe "würde Manager und Entrepreneure in unverdienter Weise adeln". Es gehe "immer um Profitmaximierung". Und: "Als Rückgrat zur Stabilisierung der demokratischen Weltkonstitution ist die Wirtschaft eine Fehlkonstruktion."

Sieben Monate später sind wir einen Schritt weiter. Bei der Betrachtung des deutschen Autoskandals zeigt sich exemplarisch, dass die Wirtschaft nicht nur als demokratische Ordnungsmacht untauglich ist, sondern bis hinauf in die höchsten Zirkel bereit scheint, die gesetzliche Ordnung zu brechen, um Profit und Macht zu maximieren.

Drei Beispiele für diese andere Welt der Eliten:

Vor einigen Jahren fragte ich einen der bekanntesten Unternehmer des Landes, ob er bereit wäre, uns ein Interview über Politik zu geben. Er lehnte ab, und die Begründung war in ihrer Offenheit erschreckend wie auch entwaffnend. Er sei prinzipiell gegen demokratische Wahlen. Stattdessen sollten Politiker "über Headhunter ausgesucht werden". Wenn er das öffentlich sagte, würde er sich und seinem Konzern möglicherweise keinen Gefallen tun, meinte der Mann ironisch.

Ebenso wenig Verständnis für die Überlegenheit der Demokratie gegenüber anderen Systemen hat Frank Stronach gezeigt. Er erklärte den Österreichern gebetsmühlenartig, dass die bei Magna gelebten "Werte" das Programm dieser Republik sein sollten. Entsprechend das Verhältnis zu seiner Partei: mit uneingeschränkten Durchgriffsrechten gemanagt und gekauft mit seinem Vermögen.

Und schließlich eben Trump. Inzwischen sehen wir nicht nur, wie die Wirtschaft auf ihn reagiert, sondern auch, wie dieser Mann der Wirtschaft agiert – nicht im politischen Diskurs, vielmehr mit ständigem Überdruck.

Die ökonomische Elite lebt in einer Parallelwelt zur politischen.

Die ökonomische Elite lebt also in einer Parallelwelt zur politischen. Das Mindset ist ein anderes, und daher sind es auch die Führungsinstrumente. Auf den laufenden Wahlkampf in Österreich angewendet: Erstens sollten wir dort skeptisch sein, wo sich Industrielle als Großspender mit ihrem Geld engagieren. Wenn KTM-Chef Stefan Pierer Sebastian Kurz mit einer halben Million Euro unterstützt und wenn Strabag-Eigentümer Hans Peter Haselsteiner die NEOS finanziert, dann erwarten die beiden keine unmittelbaren Gegenleistungen. Aber natürlich sollen die Spenden dazu beitragen, das Gedankengut der beiden im Staat fester zu verankern. Zweitens: In politischen Funktionen finden sich zum Glück fast nie lupenreine Quereinsteiger aus Großkonzernen. Auch Christian Kern ist kein Manager, er hatte zuletzt bloß einen recht großen Teil des öffentlichen Verkehrs der Republik organisiert. Für diese Abweichung von der Selbstdarstellung des Bundeskanzlers als Mann der Wirtschaft sollten wir ausnahmsweise dankbar sein.

[email protected] Twitter: @chr_rai