Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Es kommt viel schlimmer

Es kommt viel schlimmer

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Am Freitag der vergangenen Woche taten die beiden österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitute etwas in seiner Radikalität Einzigartiges: Sie halbierten die Wachstumsprognose für das Jahr 2011, die sie selbst erst vor drei Monaten errechnet hatten – kein langsames Abflachen der Konjunkturkurve, sondern gleich der Hammer. Eine Prognose für die Prognosen: In weiteren drei Monaten wird aus der Wachstums- eine Rezessionsvorschau geworden sein (zumindest beim gegenüber dem IHS stets pessimistischer gestimmten Wifo).

Was ist da passiert?

Die Analysen der involvierten Wissenschafter sind so kongruent, wie sie an der Oberfläche der Erklärungsmöglichkeiten bleiben: „Die Exporte haben den Aufschwung getragen, nun schwächen sie sich ab.“ Wegen der Unsicherheit in Europa gebe es kaum noch Investitionen, der Konsum allein könne den Aufschwung aber nicht aufrechterhalten.

Das entscheidende Wort in diesen Sätzen: „Unsicherheit“. Es erinnert daran, wie hart die Nationalökonomie um ihren Status als exakte Wissenschaft kämpfen muss, stets belächelt von den Naturwissenschaftern, und es weist überdies darauf hin, wie stark die konkrete Situation von psychologischen Faktoren getragen ist, mehr noch als der übliche Wirtschaftsauf- oder -abschwung nämlich: Aktuell hat sich ja tatsächlich so einiges angesammelt, was den direkten Weg in Richtung Panikattacken und handfeste Depressionen weisen kann.

Erstens: Gleich 17 europäische Staaten müssen fürchten, dass ihnen ihr Zahlungsmittel abhandenkommt und sie sich von einem Tag auf den anderen der Meriten des Tauschhandels besinnen müssen.

Zweitens: Leider hat die Europäische Union schlicht ­darauf verzichtet, den Fall der Zahlungsunfähigkeit eines Mitglieds in der Theorie durchzuspielen. Der ist aber eingetreten.

Drittens: Selbst wenn der Euro nicht kollabiert, werden alle Mitglieder der Währungsunion für die Pleite Griechenlands zahlen müssen …
… falls nicht ohnehin viertens eintritt, nämlich der Konkurs von Italien oder Spanien, was zurück zu erstens führen würde, und das mit einer Garantie auf das Super-GAU-Szenario.

Fünftens: Einige der größten Banken des Kontinents könnten im Zuge der Griechenlandinsolvenz selbst unter die Räder kommen. Das kostet nochmals Geld, so es nicht ganze Staaten destabilisiert, was einmal mehr zu erstens führen würde.

Sechstens: In jedem Fall ändert sich der Charakter der EU in Richtung einer Transferunion. Dieser Variante haben die Europäer freilich niemals zugestimmt, was zu innenpolitischen Verwerfungen in der Höhe eines Mittelgebirges führen wird (in Österreich zum Kabinett Strache eins).

Siebtens: Selbst wenn noch einmal alles gut geht, bleibt die Frage, wie sich die Volkswirtschaften diesseits und jenseits des Atlantiks entschulden sollen. Im Raum steht der Vermögensverlust großer Teile der westlichen Bevölkerungen, sei es durch hohe Inflation, sei es durch einen Währungsschnitt.

Achtens: Falls nicht das Vermögen beschnitten wird, müssen die Einnahmen der Staaten radikal vergrößert und die Ausgaben gesenkt werden: höhere Steuern und weniger Staatsbedienstete sowie Investitionen. Das bedeutet einmal mehr Rezession.

Neuntens: Die Verfügbarkeit von Geld und Arbeits-
plätzen wird sich zugunsten Chinas und Indiens verschieben …
… was – zehntens – bedauerlicherweise in eine ökologische Katastrophe mündet, im Vergleich zu der sich die aktuelle Erderwärmung wie ein warmes Lüfterl ausmachen wird.

Elftens: Das politische Personal, welches sich um erstens bis zehntens kümmern soll, ist inferior oder vertritt kurzfristige und nationale Interessen.

Wifo und IHS haben ihre Prognosen für 2012 auf 0,8 respektive 1,3 Prozent Wachstum gesenkt. Warum bloß sind sie so optimistisch?

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