Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Freundschaft mit dem Feind

Freundschaft mit dem Feind

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Vor drei Wochen schrieb ich hier über Alfred Gusenbauer und seine Beratertätigkeit für den kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew. Im jüngsten Heft fragte ich nach den Chancen einer Demokratisierung in der Folge des Umsturzes in Ägypten. Dieses Mal soll es sich um den verqueren Umgang mit Diktatoren drehen, Anlassfall Libyen. Die drei Themen sind eng verwandt, geht es doch jeweils um das Verhältnis von Macht und Moral.

Selten zuvor ließ sich dieses Spannungsfeld so gut beschreiben wie in diesen Tagen. Dem Westen kommt ein Bündnispartner nach dem anderen abhanden, große Investments sind gefährdet – das Ganze vor dem Hintergrund der Versorgungssicherheit für Erdöl und zusätzlich angereichert mit den Existenzsorgen des Staates Israel, der hier wie dort als eine Enklave Amerikas und Europas angesehen wird (sodass bisweilen die Idee einer EU-Mitgliedschaft auftaucht und ­Israel seit 1973 am Eurovision Song Contest teilnimmt).

Gusenbauers Hilfestellungen für einen mittelasiatischen Despoten fallen da ein wenig aus dem Rahmen. Das Bürgen für Nasarbajew mit den Insignien eines ehemaligen österreichischen Bundeskanzlers – darin erschöpft sich die Beratertätigkeit wohl – ist einfach unappetitlich. Hätte es Gusenbauer bei dem Faktum seines nicht näher definierten Konsultierens belassen, wäre das noch irgendwie als Ansatz einer Entwicklungshilfe durchgegangen. Seine Schönfärberei bezüglich des zivilisatorischen Zustands von Kasachstan, die er in einem profil-Interview betrieb, hat die Sache jedoch überdehnt. Hier verbiegt sich jemand unter der Last eines fetten Sacks Geld – und nicht etwa, weil er als Politiker Verantwortung für ein ihm anvertrautes Land und das Wohlergehen seiner Bevölkerung trüge.

Eine derartige Beschreibung von Kompromissen, welche die Weltpolitik Staatsmännern abverlangt, passt allerdings auf das Verhältnis der USA zu Ägypten. So hinterlässt es zwar einen schalen Nachgeschmack, dass sich der Westen nun so erfreut über die Revolution in Ägypten zeigt, war doch Hosni Mubarak bis gestern Busenfreund jedes amerikanischen Präsidenten (und auch der Europäischen Union). Dass der wichtigste arabische Bündnispartner in der Gegend kein Demokrat und kein Wohltäter war, sondern jede Opposition zerquetschte und das Land ausbeutete, wird im Weißen Haus nicht erst heute bekannt geworden sein. Aber was waren die Optionen? Hätte man sich subtil in die inneren Angelegenheiten Ägyptens einmischen sollen? Wäre ein ökonomischer Boykott zulasten des ­Regimes und nicht des Volkes gegangen? Oder hätten die USA die Abhaltung freier Wahlen à la Irak mit Waffengewalt durchsetzen sollen, gestützt auf die Behauptung, unter den Pyramiden befänden sich ausgedehnte Lager von Massenvernichtungswaffen?

Alles nicht viel versprechend. Allenfalls hätten die USA mit dem Hinweis auf viele Dollarmilliarden an Militärhilfe (wovon unter Garantie ein Großteil in die Taschen der ägyptischen Elite geflossen ist) einen Prozess in Richtung Menschenrechte und Demokratisierung in Gang setzen können. Ein entsprechender Versuch wurde niemals unternommen. (Übrigens erhellend und an all jene gerichtet, die meinen, den Revolutionen in Ägypten oder Tunesien läge der Drang nach Demokratie zugrunde und diese würde nun gar eingeführt: Ex-US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld erklärte dieser Tage in einem Interview: „Ich kann mich nicht erinnern, dass Teil der Diskussion im UN-Sicherheitsrat war, dem Irak Demokratie zu bringen. Und weder mein Stellvertreter Wolfowitz noch der Präsident noch Außenminister Powell brachten dieses Argument.“)

Der Umgang des Westens mit Libyen hingegen hat eine ganz andere Qualität. Nämlich eine versaute. Da wurden über Jahrzehnte nicht nur punktuell Fehler gemacht; vielmehr ließ die Welt jenes Maß an Anstand vermissen, das auch unter den verschärften Bedingungen der internationalen Politik möglich ist. Die Beziehungen zu Muammar al-Gaddafi erinnern an das Verhältnis zu Saddam Hussein, als dieser längst ein Massenmörder, aber noch ein wohlgelittener Player in der Region und gegen die Mullahs im Iran war.

Warum erscheint es erst heute angesichts der Bilder von psychotischen Ausbrüchen des Revolutionsführers aberwitzig, dass westliche Politiker ihm auf Augenhöhe begegneten (wenn nicht darunter, weil sie in Gaddafis obskuren Zelten am Boden kauern mussten)? Wie ist es möglich, dass sich die Schweiz nicht nur von Libyen erpressen ließ, nachdem Schweizer als Geiseln genommen worden waren, sondern hernach auch noch auf Freundschaft spielte? Warum kehrte die Welt nach den letztlich nicht vollstreckten Todesurteilen gegen unschuldige bulgarische Krankenschwestern zum Tagesgeschäft zurück? Und vor allem: Wie konnten die Politiker der Welt Gaddafi wieder als integralen Bestandteil ihres Systems sehen, nachdem dieser sich zum Anschlag von Lockerbie bekannt und nur halbherzig entschuldigt hatte?

Zwei Antworten darauf. Erstens: Öl. Zweitens: Von der Exzentrik des Muammar al-Gaddafi hatten sich nicht nur ähnlich kranke Gestalten wie Silvio Berlusconi und Jörg Haider angezogen gefühlt. Sondern alle.

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