Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Für Minarette. Gegen Kreuze.

Für Minarette. Gegen Kreuze.

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Wie würde eine Abstimmung über ein Minarettverbot in Österreich ausgehen? Wahrscheinlich noch eindeutiger als in der Schweiz. Dort stimmten 57 Prozent der Bevölkerung dafür. Umfragen im Vorfeld hatten ein entgegengesetztes Ergebnis erwarten lassen. In Österreich führte OGM im Jahr 2007 eine Befragung durch. Das Ergebnis: 55 Prozent der Bevölkerung waren dezidiert gegen den Bau weiterer Moscheen. Wenn also hier ein ähnlich großes Spektrum wie bei der jüngsten Schweizer Abstimmung nicht einmal stinknormale moslemische Bethäuser will, dann würde die Frage nach dem Minarett zwangsläufig eine noch deutlichere Ablehnung zutage bringen. Wie viel? 60 Prozent, 75 Prozent? Sehr gut möglich.

Eine „ATV-Blitzumfrage“ in der vergangenen Woche mit 47 Prozent für und 29 gegen ein Verbot schaut da nur auf den ersten Blick besser aus. Die richtige Interpretation dieser Zahlen: Fast doppelt so viele Österreicher sind gegen Minarette wie dafür.

Jede Bestürzung in Österreich über die Schweizer ist also unangebracht. Vor allem auch deshalb: In der Schweiz war eine solide Mehrheit der Politiker gegen ein Verbot. Die Schweizer Regierung wertete die Volksinitiative als menschen- und völkerrechtswidrig. In Österreich hingegen gibt es in zwei Bundesländern – Kärnten und Vorarlberg – bereits entsprechende Regelungen, und zwar über den Umweg von scheinbar harmlosen Baugesetzen. In Kärnten stimmte die Volkspartei für ein Verbot, in Vorarlberg kam die Initia­tive gar von der ÖVP-Mehrheit. Farid Hafez, Politikwissenschafter an der Uni Wien, schließt messerscharf: „Tatsächlich war Österreich das erste Land, wo ein solches Verbot umgesetzt wurde.“

Warum sollte man gegen ein Verbot sein? Das „Svenska Dagbladet“ – hier zitiert als Stimme einer vorbildhaft demokratischen Nation – schreibt: „Menschenrechte sind nicht Gegenstand von Mehrheitsbeschlüssen. Das Recht, seine Religion auszuüben, kann man nicht wegstimmen. Die Abstimmung verstößt gegen die Prinzipien der Demokratie.“ Viel mehr gibt es dazu nicht zu sagen: Der Vorgang als solcher – die Abstimmung per se – und erst recht das Ergebnis entsprechen nicht dem Grundkonsens west­licher Gesellschaften über die Freiheit der Menschen. Hier wurde ein demokratisches Mittel erfolgreich angewendet, um die Demokratie auszuhebeln.

In Vertiefung dieser formalen Argumentation lässt sich freilich diskutieren, wo die Rechte des Einzelnen und damit seine Freiheiten bei der Ausübung der Religion enden. Da ist das Minarettverbot ein prächtiges Exempel.
Aus diesem Grund: Jene Freiheiten enden nämlich definitionsgemäß dort, wo die Freiheiten anderer in unzumutbarer Weise eingeschränkt werden, wo also die Abwägung der Möglichkeiten der einen gegen jene der anderen zu einer Schräglage führt. Im konkreten Zusammenhang heißt das: Der Anblick eines Minaretts in der Landschaft oder in einer Straßenschlucht muss für alle jene, die sich nicht damit identifizieren wollen – vulgo Nichtmoslems –, unzumutbar sein. Der bloße Anblick müsste deren ästhetisches Empfinden oder Weltbild nachhaltig stören. Das ist aber lächerlich. Ob von Moscheen politische oder sonstige Gefahren ausgehen, steht beim Minarett gar nicht zur Debatte.

Umso mehr regt der Fall dazu an, ein anderes aktuelles Thema nach denselben Kriterien zu screenen: das Kreuz im Klassenzimmer. Der österreichische Konsens über die politischen Parteien hinweg erscheint in diesem Licht nämlich dubios. Denn anders als das Minarett in der Landschaft hat das Kreuz im Klassenzimmer einen prägenden Charakter für alle, die sich in diesem Raum befinden. Genau zu diesem Zweck – um der Klasse einen singulär christlichen Stempel aufzudrücken – hängt das Kreuz ja im Blickfeld der Schüler. Nichtchristliche Schüler können sich diesem Blick nicht entziehen, und das zumindest über ein ganzes Pflichtschulleben hinweg. Neun Jahre lang der Hinweis, wer wirklich der Herr im Haus ist, oder sogar ein neunjähriger Versuch der Missionierung? Da werden die Empfindungen aller Nichtchristen und damit deren Rechte doch in erheblichem Maße berührt.

Wer noch einen Schritt weitergehen will, kann das tun: Was hat zum Beispiel der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen zu suchen? Allein die Selbstverständlichkeit, mit der Stundenpläne rund um die Bedürfnisse der christlichen Mehrheit gestrickt werden, ist bedenklich (die Vermittlung irrationaler Inhalte in staatlichen Institutionen sowieso). Schlüsse aus der Minarett-Diskussion: Österreicher, scheltet die Schweiz nicht! Entfernt die Kreuze aus den Klassen! Und verbietet das Verbot von Minaretten!

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