Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Gerechtigkeit für Elsner

Gerechtigkeit für Elsner

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Wenn Helmut Elsner in seinem Leben etwas Gutes getan hat, dann ist es Folgendes: Jetzt begreift auch der letzte Österreicher, dass die Justiz nicht nur fehlbar ist, sondern dass man ihr von vornherein misstrauen muss. War das Bild der Rechtsprechung für den obrigkeitshörigen Bürger über lange Zeit tatsächlich irgendwie geprägt von der Vorstellung, es gebe eine penibel abwägende Justitia, die sich sogar die Augen verbindet, um ihre Objektivität nur ja nicht vom Ansehen einer Person beeinträchtigen zu lassen, dann hat sich das gehörig gewandelt: In der Nach-Elsner-Ära (und der Nach-Libro- und Mitten-in-Grasser-Epoche) dürfen wir uns statt der jungfräulichen Römerin getrost einen würfelnden Gott vorstellen, in vielen Fällen mit gezinkten Würfeln ausgestattet.

Die Rechtsprechung ist den Nimbus der exakten Wissenschaft losgeworden. Richter und das gesamte angrenzende Personal sind Menschen, und das nicht immer die besten. (Der göttliche Hauch bleibt somit den Ärzten vorbehalten, was eine ähnlich verbesserungswürdige Vorstellung ist.)

Keine Missverständnisse! Die eben geschriebenen
Zeilen sollen nicht andeuten,dass man Herrn Elsner für unschuldig
und für zu Unrecht rechtskräftigverurteilt halten soll, dass seine nun erfolgte Freilassung fünf Jahre zu spät und aus den falschen
Gründen, nämlich gesundheitlichen, erfolgt sei. Der Mann hat genug Dreck am Stecken und daher eine Verurteilung verdient. Aber viel weiter darf die Zustimmung zu dem, was dem ehemaligen Bawag-Generaldirektor unter dem Titel Rechtsprechung widerfahren ist, auch schon nicht mehr gehen.

Die freundlichste Beurteilung dieser Vorgänge ist folgende: Es liegt im Wesen der Rechtsprechung, dass nicht für jeden von Millionen möglichen Sachverhalten ein gesetzlicher Tatbestand geschaffen werden kann. Daher gibt es zwingend die freie Beweiswürdigung, Ermessensentscheidungen und – im Strafrecht – breite Strafrahmen. So etwas wie ein exakt und ausschließlich richtiges Urteil ist also unmöglich. Auch die folgende Feststellung fällt noch in einen Bereich, in dem die Justiz ihre Hände in Unschuld waschen darf: Die genannten Strafrahmen entsprechen kaum dem gesellschaftlichen Konsens. Eigentumsdelikte werden in Österreich im Vergleich zu Straftaten gegen Leib und Leben zu streng geahndet.

Jedenfalls darf man hoffen, dass sich keine zustimmende Mehrheit in der Bevölkerung dafür findet, dass Elsner mit zehn Jahren genau jenes Urteil ausgefasst hatte, das als Maximalstrafe für Vergewaltigung vorgesehen ist (Minimalstrafe sechs Jahre). Wo ist der Gesetzgeber, wo die Ministerin, die das ändern?

An diesem Punkt endet allerdings die objektive Problematik des heimischen Rechtswesens. Hier beginnen die subjektiven Momente des konkreten Falls. So erscheint es fragwürdig, ob die (OGH-)Entscheidung gerecht war, mit der Elsner die Höchststrafe aufgebrummt wurde (in der Addition zweier Prozesse). Formal geht das wegen der Höhe des Schadens in Ordnung, genauso gut hätte aber – schon früher im Prozess – die Verteidigungslinie beachtet werden können, wonach Elsner bloß Spekulationsgeschäfte veranlasst hatte. Hat sich da jemand durch besondere Strenge profiliert?

Schlimmer steht es freilich um das Thema Untersuchungshaft: fast vier von insgesamt viereinhalb Jahren in U-Haft? Da wollte man offensichtlich, wie Manfred Seeh in der „Presse“ schreibt, „den in Ungnade gefallenen Banker vorab einen Teil der zu erwartenden Strafe absitzen lassen“. Was rechtswidrig ist – zumal die Begründung für die Untersuchungshaft von vornherein hanebüchen war: Fluchtgefahr unter Vortäuschung einer Krankheit. Wie wenig die Krankheit vorgetäuscht war, hat letztlich die Haftunfähigkeit bewiesen.

Aber offensichtlich wagte niemand, der Sinnhaftigkeit und Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung entgegenzutreten. (Dass sich umgekehrt auch niemand um den wechselnden Verbleib von Wolfgang Flöttl und dessen – angeblich verloren gegangene – Dokumentation der Karibikgeschäfte kümmern wollte, beweist erst recht die Unzulänglichkeit des ganzen Verfahrens.)

Womit man endgültig beim Kern des Falls angelangt ist: Claudia Bandion-Ortner. Die Richterin im spektakulärsten Strafverfahren des vergangenen Jahrzehnts zur Justizministerin zu machen – und das noch vor Urteilsausfertigung – kam einer Beugung des Rechtsstaats nahe (zum Beispiel darin manifest, dass die Ministerin, wäre sie im Amt geblieben, per Weisung an die Staatsanwaltschaft über die weitere Entwicklung ihres ursprünglich eigenen Verfahrens hätte entscheiden müssen). Dem nicht genug: Dass dann auch noch der Staatsanwalt in diesem Verfahren zu Bandion-Ortners Kabinettschef im Ministerium avancierte, war eine Verspottung des solcherart bereits gebeugten Staats.

Der Fall Elsner: ein überaus unappetitliches Gebräu aus persönlichen Motiven von Richtern und Staatsanwälten, aus Interessenlagen von Politikern und Konzernen – ein Schaubild von typisch österreichischen Handlungsläufen. Gerechtigkeit sieht anders aus.

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