Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Gibt’s ein Programm?

Gibt’s ein Programm?

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Der Titel dieses Kommentars bezieht sich nicht auf den Österreichischen Rundfunk, sondern auf die Regierung. Aber der ORF darf als Spiegelbild der politischen Verhältnisse herhalten: Dem ORF fehlt jede Positionierung, aus der sich ein Selbstbild ableiten ließe, welches über das automatisierte Abspielen von Sendungen hinausginge. Mangels Identität in der Gegenwart kann kein Bild von der eigenen Zukunft entworfen werden.

Aus dieser Plan- und Visionslosigkeit müssten nicht zwingend ökonomische Unbilden für das Unternehmen folgen. Dass sich wirtschaftliche Probleme im Höchstmaß eingestellt haben, macht die Angelegenheit aber nicht tröstlicher: Zuschauerquoten seit Jahren im Sturzflug einerseits; andererseits eine Sonderform von Illiquidität, die nur durch legistische und finanzielle Unterstützung der öffentlichen Hand in Form von steigenden Gebühren sowie höheren Refundierungen nicht zum Tragen kommt.

Wie eben gesagt: Jeder dieser Sätze über den ORF kann auf die österreichische Politik übertragen werden, sobald man versucht, deren Funktionsweise zu charakterisieren (was angesichts der Sozialdemokratie-sozialisierten ORF-Masterminds / Master’s Voices Wrabetz und Pelinka nicht wundert). Die Republik hat von ihren hohen Repräsentanten seit Jahren keine Inhaltsangaben vorgelegt bekommen. Vielmehr erschöpft sich die Tätigkeit dieser Politiker im ­Verwalten stets gegebener und gelegentlich entstehender Zustände. Somit besteht ihre ­Arbeit derzeit nahezu ausschließlich in gebetsmühlenartigem Wiederholen der Worte „Steuern“ und „Sparen“ (freilich ohne weiterführende Ausführungen), wenn dies durch Außeneinflüsse wie EU oder Ratingagenturen notwendig wird. Wenn das Störfeuer Pause macht, widmet sich die Regierung wieder dem, was sie unter Innenpolitik versteht, nämlich dem Sticheln und Keppeln als Sadomaso-Variante von Koalitionsarbeit.

Die seltenen Versuche, irgendetwas neu zu gestalten, sind entweder so unprofessionell vorbereitet, dass sie verpuffen – und allenfalls noch ihren Urheber niederstrecken, was Norbert Darabos am Weg zu einem Berufsheer widerfahren ist. Oder sie werden im Kleinkrieg zwischen Interessengruppen parallel und quer zu den Parteilinien bis zur Unkenntlichkeit nieder­administriert – etwa die Schulreform. Selbst das oktroyierte Thema Haushaltssanierung führt nicht zu einer mit Fakten und Ideologie unterfütterten Diskussion und entsprechenden Handlungsmandaten für die Parlamentarier: Die der Verschuldungsfrage innewohnende Verteilungsdebatte findet im Staate Österreich über repetitiv rezitierte Mantras von Sozialdemokratie und Volkspartei statt, von Klassenkämpfern und besitzender Klasse – eine klientelgesteuerte Farce, gänzlich ungeeignet für Veränderungen oder auch nur Bewusstseinsstärkung.

Wie beim ORF: Unter solchen Voraussetzungen kann kein Selbstbild der Akteure entstehen; da lässt sich keine Identität von Politik und Politikern ableiten, welche über die platten Merkmale von Passfotos der Regierungsmitglieder hinausginge – ein paar Millionen Pixel, aber kein Ganzes.

Folgerichtig: Vision ist Illusion. Wenn keine Politik für die Gegenwart gemacht wird, dann ist die Entwicklung einer Idee über die Zukunft denkunmöglich. Arbeitsmarkt. Einkommensgerechtigkeit.

Vermögensverteilung. Bildung. Braindrain. Gesundheit. Geburtenraten. Vergreisung der Gesellschaft. Militärische Verteidigung. Umwelt. Ressourcenaufbrauch. Klimakatastrophe. Zu keinem dieser Worte bietet die Regierung intelligente Assoziationen, von Antworten oder gar Handlungsanweisungen ganz zu schweigen.

Und nochmals eine Gesetzmäßigkeit, die ungesteuert schlingernde Entitäten wie den ORF und die Republik in gleicher Weise erfasst: Beim ORF stürzen die Quoten ins Bodenlose, bei den Politikern stürzt die Zahl der Wähler; der ORF ist ohne die Geldinfusionen der Republik lebensunfähig, die Republik selbst lebt aber auch von geborgtem Geld anderer Leute.

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