Gott ist zu groß

Christian Rainer: Gott ist zu groß

Leitartikel: Christian Rainer

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Ist es intellektuelle Zeitvergeudung, darüber zu sprechen, wer ursächlich verantwortlich ist für die Terrorakte gegen französische Karikaturisten und damit gegen die westliche Zivilisation? Wäre es pietätlos zu fragen, ob vielleicht ihr Glaube die Attentäter zu einem Überfall auf ein jüdisches Geschäft in Paris und damit auf Andersgläubige getrieben hat? Ist es sinnlos, nach rückwärts zu blicken, Versäumnisse zu benennen und jene, die etwas versäumt haben, statt sich nun solidarisch die Hände zu reichen um einer besseren Zukunft willen?

Man komme mir angesichts dieser in ihrer wohlgebündelten Symbolkraft einzigartigen Schandtaten nicht mit dem Argument, dass in diesen Tagen etwas Zeitverschwendung sei; man lasse mich in Ruhe mit nörgelnder Kritik an journalistischer Intellektualität, wo der Terror doch zielgenau diese erfasst und hingemordet hat; und man erspare mir und der Menschheit das Wort „pietätlos“, wenn die Täter ihre Taten mit Pietät, mit Frömmigkeit gegen Unfromme begründen!

Falls Interesse an einer Eindämmung des – auch an dieser Stelle oft genug identifizierten – größten Glutnestes der Gegenwart besteht: Eben jetzt darf über den Bedrohungsfall Islam und dessen Ursachen und Verursacher gesprochen werden.

Man könnte meinen, dass eine derartige Analyse komplex und zeitaufwendig wäre, ein Leitartikel dazu nicht angetan, wenn nicht gar der Sache wenig dienlich, schädlich; man könnte auch meinen, dass ein „Bedrohungsfall Islam“ gar nicht vorliege. Das meine ich alles nicht. Wen ich für „verantwortlich“ halte, im Minimum verantwortlich dafür, dass sich alles bessert, muss damit eigentlich schon klar sein: Es ist nicht der Westen; die Lösung konzentriert sich bei den Muslimen selbst.

Der Vorwurf an den Westen, an die Obrigkeit in Paris, Berlin, Wien, 2001 auch in New York und Washington lautet bekanntlich: Die Politik der demokratischen europäischen und amerikanischen Staaten habe es verabsäumt, dem islamischen Terror Einhalt zu gebieten, indem Migration im Allgemeinen und von Menschen mit muslimischem Hintergrund speziell erlaubt wurde. In der Folge habe der Westen dann auch noch zugelassen, dass die nun einmal eingewanderten Bürger tun und lassen durften, was sie wollten, dass man sie nicht zwang, die lokalen Sitten und Gebräuche anzunehmen. So argumentieren Marine Le Pen in Frankreich, Pegida in Deutschland und die FPÖ in Österreich, und so werden sie in Zukunft an den Ereignissen von Paris genussvoll schmarotzen.

Das ist freilich ein Trugschluss, die Argumente sind in sich widersinnig: Der Westen kann nicht aufgeklärt und rückwärtsgewandt zugleich sein, kann nicht Liberalismus und Xenophobie in einem Körper vereinen, im Inneren die Menschenrechte achten, gegenüber anderen aber nicht. Wenn die politische Rechte das fordert, dann fordert sie dazu auf, dass der Westen so wird wie jene, die nicht im Land leben sollen, weil sie anders sind. Das ist ein unsinniger Gedanke, nicht praktikabel, nicht mal verführerisch.
Mag sein, dass dieser aufgeklärte Westen im Kleinen Fehler gemacht hat, im Großen war er jedoch bloß seinen Idealen treu.

Ich erlaube mir, zynisch zu sein und zu sagen, dass auch ein guter Teil der Muslime bloß seinen Idealen treu geblieben ist. Dort liegt die Wurzel des Übels. Denn während sich das Christentum längst zu einem friedlichen Nebenschauplatz im Leben von Europäern und Amerikanern entwickelt hat, oft in den Agnostizismus abgedriftet ist, blieb der Islam eine mittelalterliche Religion, langte bestenfalls dort an, wo der Katholizismus zum Ende der Habsburger-Monarchie gestrandet war.

Genau dort müssen folgerichtig auch Weltbild und Lebenswelt vieler Muslime angesiedelt sein. „Bestenfalls“ heißt zum Beispiel, dass ähnlich der Haltung im Jahr 1914 Krieg und Gewalt im Namen einer „heiligen“ Nation und unter gottberufenen Führern als Normalität empfunden werden, wenn nicht sogar als eine von höherer Stelle verordnete Pflicht. Da bleibt nur schmaler Raum, um über die Sinnhaftigkeit von Waffengebrauch und die Legitimität von Terror zu räsonieren. Jedenfalls beinhaltet dieses „bestenfalls“ der Koran-Auslegung ein streng hierarchisches Verhältnis zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern, Autorität und Untertan. Wer darüber hinaus wissen will, wohin eine mittelalterliche Interpretation der Worte des Propheten führt, braucht nur die Analogie zur katholischen Kirche zu suchen: Da dürfen dann die Scharia als Grundgesetz und ein Karikaturenverbot mit Todesfolge als Normalfall gelten.

Jeder Glaube an das Irrationale – also jede Religion – nährt die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen irrational handeln. Beim Islam wird das zur Gefahr: mangels einer zeitgemäßen Form, in der er gelebt wird, gültig von Wien bis Riad. Muslime sind nicht kollektiv schuld am Terror in Frankreich, sie sollten aber eine gemeinsame Verantwortung dafür übernehmen, dass etwas Derartiges passieren konnte.

Umgekehrt: Der Westen kann nicht die Verantwortung dafür schultern, dass die Bedrohung gebannt wird, die von radikalen Muslimen ausgeht. Das ist weder durch Integrationsbemühungen noch durch Gesetze noch mit Polizeigewalt möglich. Diese Aufgabe hat die muslimische Weltgemeinschaft schon selbst zu erledigen: die Politiker islamisch geprägter Staaten, religiöse Führer und Lehrer, die Familien für ihre Kinder. Das mag in diesen Tagen allerdings unrealistisch klingen.

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