Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Inzuchtordnung

Inzuchtordnung

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Der Untertitel, den Sie oben stehend finden, weist eine Unschärfe auf, und diese liegt nicht in der Einschätzung der Chancen von Rechtsradikalen auf die Führungsposition der Republik. Eine präzise Formulierung wäre: „Mit dem Abgang Josef Prölls und der Wahl Michael Spindeleggers …“ Deshalb: Führen schon die Rankünen innerhalb der Volkspartei zu einer Abwanderung so genannter konservativer Wähler in Richtung FPÖ, so garantiert die Bestellung des neuen Obmanns, dass diese Verschiebung im Spektrum nicht umkehrbar ist, ja sich mit einiger Wahrscheinlichkeit noch verstärken wird.

Man darf einwenden: Die Qualifizierung Spindeleggers als Inkarnation eines überkommenen politischen Systems durch nahezu alle Beobachter wurde in den vergangenen Tagen derartig schnell zum festen Bestandteil des österreichischen Allgemeinwissens, dass der Versuch angestellt werden sollte, diese Einschätzung zu hinterfragen. Der Versuch scheitert. Folgende Sätze von Rainer Nowak, ­Innenpolitik-Chef der „Presse“, können in diesem Zusammenhang nur zynisch gemeint sein: „Vielleicht wächst Spindelegger mit der neuen Aufgabe. (…) Da war ein gewisser Wolfgang Schüssel, der zu Beginn seiner Amtszeit als ÖVP-Chef weder in den Medien noch in der Bevölkerung für voll genommen wurde. Nach zwei Niederlagen, eineinhalb schwarz-blauen Regierungen, einem echten Wahlsieg und dem bitteren Abschied danach wird kaum jemand bestreiten, dass er einer der stärksten und wichtigsten ÖVP-Chefs aller Zeiten war.“

Jawohl, Schüssel, mit dem die ÖVP erstmals hinter den Freiheitlichen landete, das kann nur zynisch sein – und die Aussicht auf ein Wachsen des neuen Obmanns mit seiner Aufgabe somit erst recht zappenduster.

Also nochmals im Detail: Wofür steht Spindel­egger, und warum wird das zu einem Erstarken der FPÖ führen? Um das zu erklären, sollten wir uns zwei scheinbar damit unverbundene Fragen stellen: Weshalb will niemand Politiker werden? Und warum steigt die Politikverdrossenheit?

Diese Fragestellungen bilden landläufige Meinungen ab, die Annahmen, die sie transportieren, sind aber grundfalsch. Es stimmt einerseits nicht, dass niemand Politiker werden wollte; vielmehr hintertreibt das System den Zugang zur Politik. In diesem Sinne ist die Behauptung Unsinn, zu niedrige Gehälter verhinderten den Wechsel von Spitzenmanagern in die Politik. Vielmehr würde die Eitelkeit, die mit dem Titel „Minister“ befriedigt wird, einen allfälligen Einkommensnachteil regelmäßig ausgleichen, wie die Verlockungen eines solchen Titels auch die realen Umstände eines Politikerlebens verblassen lassen.

Wahr ist vielmehr: Das System lässt keinen Zugang von außen zu. Es ist auf bloße Machterlangung und Machterhaltung ausgerichtet. Nur wer im engsten Kreis sozialisiert wurde, darf reüssieren. Wer von außen kommt, stört die Kreise; Macht müsste geteilt werden, stillschweigend akzeptierte Regeln wären neu zu definieren. So ist dieses Gebilde niemals auf Inhalte und Qualifikationen ausgerichtet, sondern gehorcht tradierten Regeln.
Man kann das auch Inzucht nennen. Bisweilen sogar wie zum Beweis augenfällig: Pröll/Pröll, Schieder/Schieder, Haslauer/Haslauer, Simma/Simma, Rudas/Rudas.

Und man kann das System auch Michael Spindelegger nennen: Vater der Nationalratsabgeordnete und ÖAAB-Funktionär Erich Spindelegger, Sporen im Kabinett von Robert Lichal verdient, selbst Nationalratsabgeordneter und ÖAAB-Obmann, Außenminister, ÖVP-Obmann. Da bleibt für weiterführende Gedanken, für so genannte Inhalte, kein Millimeter. Die Folgen: Wer will schon am Wahltag einen fremden Lebenslauf, eine Karriereplanung wählen?

Das führt unmittelbar zu Frage zwei: Warum steigt die Politikverdrossenheit? Falsche Frage. Was steigt, ist die Verdrossenheit mit den beschriebenen Zuständen. Der Nachweis, das Interesse an politischen Zusammenhängen sinke, der fehlt. Gewagte These: Möglicherweise führen sogar stärkeres Interesse und jederzeit frei verfügbare Information zur Instantentlarvung des Systems und solcherart erst recht zur Verdrossenheit.
Nochmals die Folgen: Da entstand ein Vakuum, da ist Platz für Politiker mit Visionen und Charisma. In Deutschland wären das die Grünen und die Linkspartei. In Österreich war es Haider und ist es Strache. Frisches Blut, Inhalte. Womit Heinz-Christian Strache Blut assoziiert und welche In­halte das sind, spielt bei diesem Kontrastprogramm eine untergeordnete Rolle.
Die Umfragen sprechen Bände und von einem möglichen Kanzler.

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