Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Keine anderen Probleme?

Keine anderen Probleme?

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200 Mails plus ein Packen teils handschriftlicher Mitteilungen in Briefform für einen Fernsehauftritt bei „Im Zentrum“. Eine vergleichbare Zahl von Reaktionen setzte es seit Konfrontationen mit Jörg Haider zu dessen Hochblüte um die Jahrtausendwende nicht. Die Kommentierungen der Performance lassen sich ziemlich genau in eine Hälfte mit „Sie arrogantes, hässliches Arschloch“ einteilen und in eine andere, die sinngemäß „Hochachtung vor Ihrer bewundernswerten Contenance“ lautete. Zwischen diesen beiden Standpunkten: nichts (außer komplexe Erörterungen zu Modefragen wie der Angemessenheit meiner lila Kniestrümpfe in einer Abendsendung).

Eine halbe Million Menschen sah zu, Marktanteil und Reichweite sagenhaft für ein derartiges Sendeformat. Frank Stronach, ein verhaltensauffälliger Onkel aus Amerika mit gefährlichem Hang zu autokratischen Staatsformen, bewegt das Land. Gut zehn Prozent würden dieses Zerrbild eines Quereinsteigers derzeit wählen. Berechtigte Hoffnung: Der Appeal seiner Botschaften wird von verführerisch skurril in Richtung ungewollt kabarettistisch drehen. Und: Der Mann wird das Jahr bis zur Wahl psychisch aufrecht nicht durchstehen.

Wer erwartet, dieser Kommentar würde sich nun weiter an Stronach abarbeiten, liegt falsch. Zu viel Lärm um ein Nichts. Hat das Land keine anderen Probleme und Themen? Hat es. Unter anderen diese.

Wehrpflicht. Hier droht eine böse Entwicklung, eine Jahrhundert-Chance wird möglicherweise verpasst. Wie mein Kollege Herbert Lackner (und wie bereits mehrfach argumentiert) bin ich ein klarer Befürworter eines Berufsheers. Der Präsenzdienst bringt im besten Fall verlorene Monate für junge Österreicher, im schlechteren prägende Eindrücke von der abenteuerlichen Verfasstheit des Staates, im schlimmsten Fall traumatische Erfahrungen für ein ganzes Leben. Dass dieser Präsenzdienst ohne irgendeine verteidigungspolitische Basis oder Ausrichtung abzudienen ist, verleiht der Angelegenheit zusätzlich kafkaesken Charakter. Und wer – um dem letztgenannten Argument entgegenzuwirken – Katastropheneinsatz und Zivildienst in die Waagschale wirft, der zäumt das Pferd von hinten auf: Ein Heer ist ein Heer ist ein Heer; wer Katastrophen bändigen will, soll sich um entsprechend geschulte Kräfte kümmern, ohne militärisches Selbstverständnis und ohne Waffen; wer der Arbeit von Zivildienern bedarf, soll nicht über die Bande mit Soldaten spielen.

Bedauerlich ist daher: Wenn der Eindruck nicht trügt, ist eine Mehrheit für das Berufsheer bei der Volksbefragung zunehmend gefährdet. Schuld sind parteipolitisches Kalkül, innerparteilicher Zank in der SPÖ und ein mit der Aufgabe völlig überforderter Verteidigungsminister. Daher atmet die Aussage der Salzburger Landeshauptfrau Gabi Burgstaller, das „Bundesheer tut den jungen Männern sicher gut“, nicht bloß den Geist der fünfziger Jahre, sie verpestet überdies die Atmosphäre, die das für Österreich einzig sinnvolle Verteidigungskonzept möglich machte.

Eurokrise. Das interessanteste an der Eurokrise ist derzeit, dass sie ebenso derzeit keine zu sein scheint. Konsumierte man unbedarft die aktuellen Nachrichten in Printmedien, Radio oder Fernsehen, dann käme man zu dem Schluss, dass nicht Feuer am Dach ist, sondern alles im Fluss, wenn nicht sogar im Griff von Merkel und Europäischer Zentralbank. Wer nicht weiß, dass hier eben noch von der schlimmsten Finanzkrise der Nachkriegszeit die Rede war – und das zu Recht –, könnte diesen Sachverhalt nicht erahnen. An den Fakten geändert hat sich aber gar nichts. Es gibt keine neuen Konzepte, der ESM ist eine Placebo-Medikation, und die Sparmaßnahmen der gefährdeten Staaten können noch gar nicht gegriffen haben. Geändert hat sich bloß das Datum: Selbst die schlimmsten Krisen verschwinden irgendwann von selbst. So wie Fukushima und nur scheinbar.

Gerichte und Grüne. Zwischen der Verurteilung des ehemaligen Kärntner ÖVP-Chefs Josef Martinz und seiner Mittäter zu saftigen Freiheitsstrafen (nicht rechtskräftig) und dem Ende des parlamentarischen Untersuchungsausschusses gibt es Verbindungen.

Erstens: Der Meilenstein, der von Kärntner Gerichten gesetzt worden ist, wird von Wiener Parlamentariern und Regierungsmitgliedern gleich wieder ausgegraben. Während das Volk im Birnbacher-Prozess angesichts hanebüchener Schutzbehauptungen endlich einmal nicht für dumm verkauft wurde, sind im Nationalrat mit ebensolchen Argumenten der Bundeskanzler und eine Handvoll anderer Personen geschützt und das Volk um Aufklärung betrogen worden.

Zweitens: Ohne die Grünen wäre es nicht zum Birnbacher-Prozess gekommen und nicht zu einem bis zum Abbruch spektakulär erkenntnisreichen Ausschuss.

Drittens: Ohne Journalisten auch nicht.

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