Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer: Krieg und kein Frieden

Krieg und kein Frieden

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Israel, Ukraine, Syrien, Irak, Nordafrika. Mit den Werkzeugen der Statistik vermessen ist die Welt friedlicher geworden, das beweist die Wissenschaft. Das beruhigt aber angesichts der augenscheinlichen Häufung und Erbarmungslosigkeit der Konflikte nicht. Der UN-Repräsentant in Gaza bricht vor laufender Fernsehkamera in Tränen aus. Auch die Reporter vor Ort, ja selbst Journalisten an der sicheren Homebase zeigen sich gegenüber dem Massensterben von Zivilisten emotional überfordert.

Und intellektuell geht gar nichts mehr. Das fatale, chaotische Ende so gut wie jedes Waffenganges der vergangenen Jahrzehnte hat die Lust zur Erklärung der Vorgänge auf ein niedriges Maß gedrückt; erst recht will niemand Ezzes geben, wie denn diese oder jene schiefe Weltlage wieder in Balance zu bringen sei. Mit der Ausnahme Ex-Jugoslawien – und hier im langen Schatten eines Völkermordes – liefen fast alle von der zivilisierten Staatengemeinschaft direkt betriebenen militärischen Operationen schief. Darunter sind auch jene, bei denen weitgehend Einigkeit über ihre moralische Notwendigkeit und strategische Sinnhaftigkeit herrschte.

Afghanistan steht bestenfalls vor dem Nichts. Dem Irak droht Schlimmeres als das Nichts. Die vom Westen zur Macht gebombten libyschen Freiheitskämpfer machen ihrem Namen keine Ehre. Nicht besser bilanzieren die jüngsten Volksaufstände, die Revolutionen, die Selbstbefreiungsversuche: Ägypten, Syrien, Ukraine, Südsudan, Mali et cetera.

Eine Serie von Rohrkrepierern. Paranoide Diktatoren, abgelöst durch brutale Stammesführer. Religiös begründete Oppression ersetzt profanen Wahnsinn. Scharia statt Willkür. Verheerender Zerfall statt erzwungener Einheit. Und zwischen dem schlechten Gestern und dem miesen Heute liegen verwüstete Infrastruktur und Millionen zusätzliche Tote.

Da wundert die Zurückhaltung bei der Bewertung der aktuellen Krisen nicht; das Chaos der Argumentation steht dem realen Chaos nicht nach. Am Beispiel Israel: Da herrscht global Verzweiflung über den Blutzoll bei den Palästinensern; dass Israel den Beschuss aus dem Gaza-Streifen mit Freundlichkeiten beenden könnte, glaubt aber niemand. Die Welt empört sich über die Unverhältnismäßigkeit der Opfer; dass deren Zahl von der Hamas mit Vorsatz massiv erhöht wird, bleibt jedoch unbestritten. Die Kritik an der israelischen Führung bleibt allzu oft leise, weil solche Kritik allzu oft als Antisemitismus denunziert wird; gleichzeitig brodelt der neue Antisemitismus aber wirklich.
Ausweglos.

Im Lichte dieser Betrachtungen wäre es nachgerade zynisch, für diesen oder jenen Fall doch eine schnelle Lösung anzubieten. Zumindest wäre es lächerlich. Ganz offensichtlich hilft ja weder irgendeine Form von politischer oder bewaffneter Aktivität, sei es durch eine Militärintervention, sei es durch Umsturz von innen; definitionsgemäß ändert aber auch Passivität nichts an Unrechtsregimen und Unterdrückung.

Was in diesem Zusammenhang möglich ist: die Beschreibung von Ursachen ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Auch die Beschreibung jener Dinge, die keine hinlängliche Begründung für das Ausbrechen von Konflikten liefern. Gerne geäußert in diesem Zusammenhang: zum Beispiel „die Interessen der USA“. Wer diese angeblichen Interessen mit den Verhältnissen an den Konfliktherden abgleicht, wird freilich wenig Futter für die Annahme finden, die USA hätten stets ihre schmutzigen Finger im Spiel. Noch dämlicher die Behauptung, es ginge „immer“ um „Öl“ oder „Ressourcen“: Mit Interesse werden die Israelis, die Palästinenser oder die Afghanen hören, dass sie auf entsprechenden Bodenschätzen sitzen. Schließlich sei stets „das Geld“, also wirtschaftlicher Vor- und Nachteil, Auslöser und Brennstoff von Kriegen.

Auch das zu kurz gedacht: Ja, Armut und ökonomische Ungleichheit können politisch instrumentalisiert werden. Aber umgekehrt fällt es schwer zu beweisen, dass irgendein Krieg rezent angezettelt wurde, weil sich ein Konzern oder gar eine Einzelperson davon Reichtum versprochen hätte.

Falls es überhaupt ein Muster gibt, das in all den genannten Fällen erkennbar ist, dann besteht dieses aus historisch gewachsenen Gruppeninteressen, die miteinander in Konflikt geraten: Nationalismus, ethnische und religiöse Zugehörigkeit, Sippen, Familienclans. Wenn diese Zugehörigkeiten nicht im Einklang stehen mit Grenzziehungen, mit Siedlungsräumen, mit den Herrschaftsverhältnissen, wenn es in der Geschichte hier Brüche gab, die noch Generationen später als ungerecht empfunden werden, dann kann kein dauerhafter Frieden herrschen.

Zu Beginn genannt: Israel, Ukraine, Syrien, Irak, Nordafrika. Da kann also schon wegen dieser Webfehler im Zusammenleben der Menschen kein schneller Frieden möglich sein.

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