Christian Rainer: Kurz für Kern!

Christian Rainer: Kurz für Kern!

Christian Rainer: Kurz für Kern!

Drucken

Schriftgröße

Es wird zur Gewohnheit, dass ich zu Beginn des Leitartikels beschreibe, worüber ich nicht schreibe, obwohl man eigentlich gerade darüber schreiben müsste. Bisweilen verliere ich mich dann im Fortspinnen des Gedankens, sodass der ursprünglich geplante Inhalt in den hinteren Teil des Kommentars rutscht und damit den gesamten Text in seiner Stabilität gefährdet (ganz im Widerspruch zur Lehrmeinung des stellvertretenden Chefredakteurs der „Zeit“ Bernd Ulrich, der jüngst verordnete, „für einen guten Leitartikel sind Augenhöhe und eine einfache Sprache entscheidend“).

Heute daher nur kurz exkursierend: Geständnis und Verurteilung (nicht rechtskräftig) des ehemaligen Bürochefs von Jörg Haider zu zwei Jahren Haft würde im Doppelpack mit der Hypo-Pleite in jeder zivilisierten Gesellschaft zur Implosion der damit symbiotisch verbundenen politischen Partei führen. Nicht so in Österreich. Da sagt der Nachfolger des Vorgängers, das sei gar nicht seine Partei gewesen, die Kärntner meinen, alle seien schuld (besonders die Wiener), und die Wiener samt Restösterreich konzentrieren sich seit Jahren auf die vergleichsweise lapidare Frage, wer denn in der Abwicklung des moralischen und finanziellen Kärntner Konkurses geschlampt habe.

Eine Verbindung zum plangemäßen Thema dieses Kommentars lässt sich herstellen. Dieses Thema gäbe es nämlich nicht, wäre die FPÖ reziprok zum Ausmaß des von ihr angerichteten Schadens geschrumpft: Wird es vorgezogene Neuwahlen geben, wer wird sie allenfalls herbeizwingen, und wer wird allenfalls-allenfalls mit wem die nächste Regierung bilden?

Seit Christian Kern SPÖ-Chef ist, liegt Heinz-Christian Strache in der Kanzlerfrage zwar wieder hinten, aber die SPÖ bewegt sich kaum.

Sagen Sie nicht, das sei ein unwürdig banales Thema! Über nichts wird aktuell häufiger gesprochen (nicht einmal über die Scheidung von Brad Pitt und George Clooney – oder so ähnlich).

Die Ausgangslage laut jüngster Umfrage: FPÖ 34 Prozent, SPÖ 27 Prozent, ÖVP 20 Prozent. Verändert hat sich da im vergangenen Jahr wenig. Die FPÖ bleibt stabil vorne. Seit Christian Kern SPÖ-Chef ist, liegt Heinz-Christian Strache in der Kanzlerfrage zwar wieder hinten, aber die SPÖ bewegt sich kaum. Reinhold Mitterlehners Partei erst recht nicht. Bis vor einigen Wochen war ich der Meinung, angesichts dieser Ausgangslage würde nur ein Selbstmörder die Koalition sprengen: weil es für SPÖ wie für ÖVP aussichtslos erscheint, die Freiheitlichen zu überholen. Als Ergebnis vorgezogener Neuwahlen könnte sich nur ergeben, dass die Koalitionsparteien von Platz eins und zwei auf die Plätze zwei und drei fallen.

Ich habe meine Meinung nicht geändert, aber inzwischen muss ich überrascht feststellen, dass entsprechende suizidale – freundlicher: todesmutige – Pläne gewälzt werden. Aus Gesprächen mit seinem Umfeld gewinne ich den Eindruck, dass vor allem Christian Kern alles auf eine Karte setzen will. Das wundert zusätzlich, weil er doch bemerkt haben muss, dass seine Person (samt der mittlerweile gehärteten Flüchtlingspolitik) die Werte der Partei nicht wie erwartet nach oben gezogen hat. Wo also will Kern sieben Prozentpunkte holen?

Auf diese Frage gibt es bloß eine schlechte Antwort, sie ist paradox, hochspekulativ und – um im Jargon zu bleiben – beinhaltet ein lebensgefährliches Spiel: Die SPÖ kann nur gewinnen, wenn die ÖVP so stark wird, dass sie an die 27 Prozent der SPÖ herankommt, und wenn sie diesen Zugewinn den Freiheitlichen abnimmt. Dann braucht Kern keine Zuwächse. (Eine verspielte Rechnung: Dann lägen die drei Parteien ident bei 27 Prozent.) Ausgerechnet Sebastian Kurz also müsste für seinen Wiedergänger Kern die Kohlen aus der Hölle holen.

Kern sicher und Kurz ein wenig denken, dass sie jetzt geringe Chancen haben, 2018 aber keine.

Für die ÖVP und damit für Kurz stellt sich die Angelegenheit mindestens so komplex dar. Kurz hat wenig Veranlassung, ausgerechnet jetzt die Partei zu übernehmen. Bei einer Wahl tendieren seine Chancen auf Platz eins gegen null. Um Zweiter zu werden, müsste er aktuell sieben Prozentpunkte zulegen. Der ausbleibende Kern-Effekt bei der SPÖ wird ihm da zu denken geben. Andererseits: Wenn Kurz zuwartet, ist die Volkspartei vielleicht gar nicht mehr zu retten; seine effektvolle Flüchtlingspolitik hingegen würde ihm noch einige Zeit Thermik bieten.

Aber wozu das alles? Logisch ist das nicht schlüssig. Für die beiden Regierungsparteien kann nichts Besseres herausschauen als der Status quo: Kanzler und Vizekanzler (und, falls Kurz nicht noch schnell durch eine Apotheose geht, in der geübten Reihenfolge). Festzuhalten ist freilich, dass dies dann auch noch schwer zu argumentieren wäre, wenn nämlich, wie zu erwarten, die FPÖ zur größten Partei würde.

Warum also?

Erstens: Die SPÖ und heftiger die ÖVP kokettieren mit der FPÖ als Partner. Zweitens : Kern sicher und Kurz ein wenig denken, dass sie jetzt geringe Chancen haben, 2018 aber keine. Drittens: Kern (und eher nicht Kurz) überschätzt sein Potenzial. Summiert: Das ist alles nicht sinnvoll für Österreich und seine Menschen.

[email protected] Twitter: @chr_rai