Christian Rainer: Lavieren mit den Saudis
Viele Anekdoten werden über Heinz Fischer erzählt. Die meisten sind freundlich. Eine der wenigen missgünstigen Erzählungen handelt davon, dass er zu Beginn seiner politischen Karriere gerne im Off verschwand, wenn heikle Entscheidungen anstanden. Aber die Anekdote ist ein literarisches Genre und daher keiner Wahrheit verpflichtet. Davon abgesehen matcht sich der ehemalige Bundespräsident mit seinem Nachfolger um die oberen Ränge der Vertrauens- und Beliebtheitsskala bei der österreichischen Bevölkerung. Das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit, zumal beide Herren in ähnlicher Weise ideologisch schwer befrachtet ihr Amt angetreten hatten.
Vergangene Woche ist Heinz Fischer ins Gerede und in die Kritik geraten. Aus den eben genannten Gründen überrascht das: weil er beliebt ist, weil er stets einer war, der sich der Kritik zu entziehen wusste. Fischer hatte eine Einladung des König-Abdullah-Zentrums für interreligiösen und interkulturellen Dialog (KAICIID) in Wien angenommen. Er hielt die Eröffnungsrede einer zweitägigen Konferenz zum Thema „Hate Speech – Hassrede“. Dass die Kritik auch von Herbert Kickl befeuert wurde, tut nichts zur Sache. Auch ohne die Intervention des FPÖ-Politikers bietet dieser Auftritt viele Angriffspunkte.
Das 2012 von Saudi-Arabien, Österreich, Spanien und dem Vatikan als Beobachter gegründete und von Saudi-Arabien praktisch im Alleingang finanzierte Zentrum stand von Beginn an im Kreuzfeuer. Die schiere Existenz des KAICIID auf dem Boden einer westlichen Demokratie wird als Publicity-Stunt eines Landes gewertet, das Menschenrechtsverletzungen zur Staatsdoktrin erklärt hat, das Frauen, Andersgläubige, Nichtsaudis als Menschen zweiter und dritter Klasse behandelt und dessen Strafrecht sich wie das Handbuch der Inquisition liest. Die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat von Istanbul brachte das Fass schließlich zum Überlaufen, und im Juni 2019 fasste der Nationalrat einen Entschließungsantrag, wonach das KAICIID seine Tätigkeit einzustellen habe.
Hat sich Heinz Fischer zum Handlanger Saudi-Arabiens gemacht? Stützt er mit seinem Auftritt und seiner Argumentation ein Unrechtsregime, behindert er einen Wechsel, der seit Jahrzehnten erhofft wird, von dem aber nichts zu spüren ist? Ich denke ja.
Freilich ist schon die Tatsache zynisch, dass eine Konferenz über Hassrede von einem Land ausgerichtet wird, in dem jede Form von freier Rede, erst recht im Internet, mit der Todesstrafe bedroht ist.
Allein die Tatsache, dass der ehemalige österreichische Bundespräsident, eine der meistangesehenen Personen der westlichen Politikerkaste, sich in diese Weißwaschmaschine begibt, verleiht Saudi-Arabien den Nimbus von Gleichheit der so unterschiedlichen Wertekanons. Zumal der Altbundespräsident nicht als Widerpart, Gegenredner, Diskutant aufgetreten ist, sondern die Veranstaltung als Festredner beehrt hat. Fischer nutzte seinen Auftritt auch nicht als Gelegenheit, um konkret auf die turmhohen Defizite in Saudi-Arabien einzugehen, vielmehr sprach er allgemein über Menschenrechte und Geschlechtergerechtigkeit. Auf eine entsprechende Frage des „Standard“ erklärte er, er könne bei seinen „Standpunkten nicht jedes Mal bei Adam und Eva beginnen“. Diese Antwort ist von großer Überzeugung nach einem langen Politikerleben getragen und auch zynisch. Gerade als emeritierter Politiker, der nicht mehr an diplomatische Sprache gebunden ist, könnte er endlich genau das tun: klare Worte finden, die Sache beim Namen nennen. Freilich ist schon die Tatsache zynisch, dass eine Konferenz über Hassrede von einem Land ausgerichtet wird, in dem jede Form von freier Rede, erst recht im Internet, mit der Todesstrafe bedroht ist.
Zentrales Argument von Fischer ist aber, man müsse das Gespräch suchen: „Man kann nicht immer den Dialog fordern und dann plötzlich kneifen, wenn eine ernsthafte Diskussion angeboten wird.“ Österreich habe sich stets als Brückenbauer verstanden, man solle bestehende Brücken auch nutzen, sonst blamiere man sich.
Es mag sein, dass Heinz Fischer in seinem Leben wenig so gefürchtet hat, wie sich zu blamieren. Aber weiter will man ihm in seinem Argument nicht folgen. Weder ist in den vergangenen sieben Jahren aus dem KAICIID irgendein „Angebot einer ernsthaften Diskussion“ an die Öffentlichkeit getragen worden noch jemals in der jüngeren Geschichte aus Saudi-Arabien. Mehr als Lavieren rund um die manifesten Vorwürfe gegen das Land kommt da nicht. Ebenso wenig sind die Brücken bekannt, von denen Fischer spricht. Die einzigen Brücken, die das Land mit dem Rest der Welt verbindet, sind solche, über die Öl in die eine und Waffen in die andere Richtung geliefert werden. Aus dem Land selbst sind vor allem Brücken erinnerlich, über die vermeintliche Straftäter zum Schafott getrieben werden.
Also ja: Heinz Fischer hat sich nicht nur en passant gegen den Willen des österreichischen Parlaments gestellt – das sei ihm unbenommen. Er hat sich vor allem demonstrativ an die Seite eines üblen saudischen Clans gestellt – um einen Dialog zu führen, der nicht zu führen ist.
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