Christian Rainer: Lebensplanung

Aus Anlass einer Nichtkandidatur. Was ihn trieb, was sie treibt, warum sie oft unglücklich werden.

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Noch nie hat die Tatsache, dass ein Mensch für ein Amt nicht kandidiert, so viel Aufregung, Fassungslosigkeit, Unverständnis ausgelöst wie die Bekanntgabe, dass Erwin Pröll nicht Bundespräsident der Republik Österreich werden will. Eine wilde Mischung aus ratlosen Deutungen, aus Spurensuche im Charakter des niederösterreichischen Landeshauptmanns, aus apokalyptischen Szenarien für die Volkspartei und deren Obmann folgten dem spätabendlichen ORF-Interview von Reinhold Mitterlehner am vergangenen Donnerstag.

Was also hat Pröll zu dieser Entscheidung getrieben? Was treibt Spitzenpolitiker überhaupt in diesen Beruf, zu einer Tätigkeit, die wie keine andere psychisch und körperlich Anforderungen stellt und oftmals in Unglück und Zerstörung endet?

Erwin Pröll also. Anders als viele meiner (und seiner) Kollegen sehe ich die Entscheidung mit Wohlwollen. Oder gleich einmal umgekehrt argumentiert: Wie hätten wir Journalisten reagiert oder reagieren müssen, wäre er angetreten, obwohl er doch vielfach erklärt hatte, dass die Bundespräsidentschaft nicht Teil seiner Lebensplanung sei? Hätten wir diesen Wortbruch etwa deshalb nicht als solchen gewertet, hätten Pröll vom Meineid exkulpiert, weil wir – ich eingeschlossen – jenem Wort nie geglaubt hatten? Das wäre eine gewagte Argumentation.

Aber so what? Er ist eben der Landeshauptmann von Niederösterreich, und das verträgt sich schlecht mit äußerer Demut und innerer Bescheidenheit.

Ja, Pröll hat seine Partei zappeln lassen, indem er, wie er selbst zugibt, „dieses Mal“ wirklich mit jenem süßen Gedanken spielte. Er hat damit einmal mehr sein Gewicht im Land und in der Partei messen lassen, hat diese Machtdemonstration überlange ausgekostet. Aber so what? Er ist eben der Landeshauptmann von Niederösterreich, und das verträgt sich schlecht mit äußerer Demut und innerer Bescheidenheit. Gute Landeshauptleute sind absolute Monarchen, manche tragen die Insignien offen, manche kokett, andere als Zerrbilder ihres Amtes.

Was also hat ihn bewogen? Ich glaube diesem Mann, mit dem ich bei Gott viele Sträuße ausgefochten habe und wohl auch noch ausfechten werde, dass er wirklich auf Basis von „Lebensplanung“ entschieden hat. Familienmensch, Frau, Kinder, Enkelkinder, Heimatort – das sind Werte, die nicht im Widerspruch zur Gefühlswelt eines Machtmenschen stehen, vielleicht sogar im Gegenteil diesen beflügeln. Als Bundespräsident wäre Pröll am Ende einer zweiten Amtszeit 81 Jahre alt gewesen, das liegt jenseits der durchschnittlichen Lebenserwartung eines Mannes, da bleibt auch einem gesunden Menschen nicht mehr viel Zeit zu leben, ein Leben abzurunden.

Und umgekehrt: Warum sonst hat er denn nicht kandidiert? Weil er fürchtete, nach 23 Jahren an der Macht mit einem Scheitern alles zu zerstören? Das bleibt in Kenntnis von Person und Demoskopie unwahrscheinlich. Und zuletzt: Ist nicht das Ausschlagen einer Gelegenheit die letztgültige Demonstration von Überlegenheit?

Das Geschäft ist psychisch brutal, verlangt enormen Zeitaufwand, verbietet Anonymität, penetriert das Privatleben.

Was aber treibt Menschen überhaupt in die Spitzenpolitik, und was hält sie dort? Ein Blick in die Bücher müsste uns warnen: In den vergangenen Jahrzehnten sind alle Vorsitzenden der drei großen Parteien irgendwie gescheitert (mit einer einzigen Ausnahme: Franz Vranitzky). Am Ende waren sie persönlich beschädigt, verbittert, zynisch, krank. (In der Landespolitik läuft es besser.) Das Geschäft ist psychisch brutal, verlangt enormen Zeitaufwand, verbietet Anonymität, penetriert das Privatleben. Online-Medien und Social Networks haben die Ausgesetztheit ins Unerträgliche gesteigert, oft jenseits der Rechtsordnung. Gerade Erwin Prölls Ärger darüber, wie schutzlos sein Berufsstand gegenüber bösartigen und online gestreuten Gerüchten dasteht, ist notorisch.

Die Antwort darauf, warum sich viele das dennoch antun, lautet regelmäßig „Eitelkeit“. Das ist verkürzt, dennoch richtig und gar nicht negativ zu werten. Ohne ein gerüttelt Maß an Sucht nach der Öffentlichkeit kann kein Politiker funktionieren. Soll er auch nicht: Was passiert, wenn der Eitelkeit die Intelligenz und die Gestaltungsfähigkeit fehlen, ist ohnehin reichlich dokumentiert.

Umgekehrt bin ich es leid zu hören, dass niemand mehr in die Politik wolle, weil Bezahlung niedrig und öffentliche Kritik unerträglich seien. Stimmt einfach nicht. Ein Großteil der Spitzenmanager, die ich kenne, würde jederzeit ein Ministeramt annehmen, bekäme man es angeboten. Aber nur eine Handvoll wäre der Aufgabe gewachsen.

Abschließend: Für Erwin Pröll heißt das, er hat die richtige Entscheidung getroffen. Für die ÖVP gerät die Entscheidung zum Nachteil. Für die Republik freilich ist es nicht übermäßig relevant, wer Heinz Fischer nun folgen wird.