Christian Rainer: Programmänderung

Gemeinhin gilt die ÖVP als Partei mit unmöglicher Struktur und einem unmöglichen Weltbild, in sich z

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Gemeinhin gilt die ÖVP als Partei mit unmöglicher Struktur und einem unmöglichen Weltbild, in sich zersplittert einerseits, rückwärtsgewandt zum anderen. Es kämpfen regionale wie bündische Interessen gegeneinander, die nicht auf ein gemeinsames Blatt zu bringen sind, geschweige denn auf einen gemeinsamen Nenner. Eine Matrix mit neun Mal vier autonomen Organisationen oder auch „mit 36 Chefs“, wie es Reinhold Mitterlehner unlängst ausgedrückt haben soll. Wobei er sich da selbst noch nicht dazugezählt hatte und auch nicht mächtig aufgestellte Stände berücksichtigt wie Seniorenbund, Katholische Aktion, Cartellverband oder den Verband Christlicher Radfahrer Österreichs (okay, der zumindest hat sich aufgelöst). So weit die Struktur. Beim Weltbild tropft Weihwasser auf staubige Böden: kirchenergeben, bäuerlich, krämerseelisch, hierarchieverhaftet.

Kurzum: Demnach wäre die ÖVP eine politische Kraft ohne Zukunft, todgeweiht. In einem Monat macht sie Parteitag, und sie gibt sich ein neues Grundsatzprogramm. Zeit für eine erfrischende These: dass nämlich die Volkspartei erheblich besser aufgestellt ist als ihre Konkurrenten.

Wie das nun? Gehen wir die Sache im Ausschlussverfahren an, das empfiehlt sich bei vordergründig absurden Behauptungen. So muss die ÖVP gar nicht gut dastehen, da reicht es, wenn die anderen gefährdeter wackeln.

Beginnen wir bei den Grünen! Ihr Asset: In mehreren Jahrzehnten ist zwar eine Handvoll Gestalten mit dubiosem Charakter an uns vorbeigezogen. Aber kein einziger Fall von Korruption oder Unterschleif blieb in Erinnerung. Das ist erstaunlich. Die Downside: Inhaltlich bedurfte es gewaltiger Akrobatik. Ihr Gründungsmythos, der Umweltschutz, wurde entmythologisiert, den Grünen unter dem Hintern wegezogen und an alle verteilt, vergesellschaftet. Das Thema Ausländer bedarf ständiger Neupositionierung. Mit schrankenloser Nächstenliebe ist in Zeiten von Islamismus und angesichts zweifelhafter Anpassung an westliche Werte kein Staat zu machen. Wirtschaft: Nach linker Utopie ist Realismus eingezogen – und die Unterscheidbarkeit verloren gegangen.

Die NEOS: Anfangseuphorie verflogen. Inhalte jeweils nur punktuell erkennbar. Leben von den Herren Strolz und Haselsteiner. Aber immerhin.

BZÖ und Team Stronach: selbstgemordet, selbstverstümmelt, verscheidend.

FPÖ: Sie läuft hier außer Konkurrenz. Ihr Ablaufdatum ist nicht erkennbar. Was einerseits an den Eigenarten der Österreicher liegt: Wenn schon die extrem Rechten in Parlament und Parteispitze nicht stören – wie kann man diese Partei nach Hypo und all den blauen Skandalen noch wählen? Andererseits an Strache: Da haben wir uns nach Haider wieder einen Bauernfänger eingefangen.

Schließlich die Sozialdemokratie: Sie leidet am Personal. Da werken brave Kader, die den geordneten Diskurs der Loyalität opfern und die Flexibilität von Positionen der historischen Gewohnheit. Und sie scheitert am Programm: Das erscheint an entscheidenden Punkten in grauen Stein gemeißelt, es entspricht in seinem Misstrauen gegenüber der Marktwirtschaft, gegenüber der Selbstverantwortung jedes Einzelnen nicht den Anforderungen des dritten Jahrtausends, der Europäischen Union, der Globalisierung.

Derartig gedreht und gewendet, im Vergleich zu den anderen also, steht die Volkspartei nicht schlecht da, nicht alleine schlecht jedenfalls. Reicht das? Was kann die Partei von sich aus bieten, das ihre strukturellen und ideologischen Unpässlichkeiten aufwiegen wollte?

In Kurzfassung: Was etwa das Verhältnis zum Glauben und zu allen damit verbundenen Zwängen betrifft, hat sich die Situation entspannt. Waren Scheidung und Wiederverheiratung, Kirchenaustritt, uneheliche Kinder vor 20 Jahren ein tabuisiertes und für Spitzenpolitiker ein existenzielles Thema, kostet das heute nur mehr ein müdes Lächeln. Parteihegemonie der Bauern? Nicht einmal der Landwirtschaftsindustrie. Und eben der Industrie? Der Einfluss ist relativ zum Putschversuch der Industriellenvereinigung samt ÖIAG-Übernahme an der Wende zu Schwarz-Blau implodiert. (Die IV wird derzeit von einem ehemaligen Funktionär des Liberalen Forums präsidiert!) Die konservativen Krämerseelen – also Kammer & Co.? Ein wunder Punkt, da lebt die Volkspartei in einer anderen Epoche. Hierarchiedenken und Standesdünkel? Sind zum Beispiel bei der Schulpolitik schlecht für die Partei, mies fürs Land.

Und die Parteistrukturen? Die sind weniger beim Regieren ein Hindernis als für das Fortkommen der Regierenden. Sie spülen Figuren wie Spindelegger nach oben und wieder nach unten, finden aber auch einen Kurz, einen Brandstetter, einen Schelling.

Womit wir zum Schluss kommen: Personell ist die ÖVP viel besser und breiter ausgestattet als die Sozialdemokraten, die Grünen, die Blauen. Ja, vielleicht ist die ÖVP doch die Partei der Zukunft.