So viel Überwachung brauchen wir

Christian Rainer: So viel Überwachung brauchen wir

Kommt auf die Umstände an. Derzeit eher weniger.

Drucken

Schriftgröße

Natürlich ist der Rosenkrieg um das Sicherheitspaket eine Wahlkampfkabale. Die schwarzen Minister im Innen- und Justizressort wollen Meter machen, dürfen aber nicht. Nur dünn schimmert die Grundhaltung der Parteien durch. Die Volkspartei gelüstet es nach mehr Law und Verordnungen. Das entspricht ihrer Grundhaltung und kommt angesichts des islamistischen Terrors besonders gut an. Die Sozialdemokratie ist stets skeptisch gegenüber mehr Überwachung. Da tut sie sich in der aktuellen Situation freilich schwer, wo doch jeder glaubt, er könnte ein Terroropfer werden, entgegen allen Wahrscheinlichkeiten. Die FPÖ muss dagegen sein, weil sie eigentlich dafür ist, ihr Terrain aber nicht dem Gegner überlassen kann. Und dann wären da noch die Grünen, die NEOS und Peter Pilz

Nochmal natürlich: Natürlich müsste man für dieses Sicherheitspaket plädieren. Natürlich ist es widersinnig, dass Telefonate von den Behörden abgehört werden dürfen, bei datenbasierten Texten wie WhatsApp ein Mit- oder Nachlesen aber unmöglich ist und verboten. Natürlich ist die Datenüberwachung die einzige Möglichkeit, um das internationale Verbrechertum niederzuhalten. Natürlich ist es beeindruckend, mit welcher Präzision und Geschwindigkeit die Polizei zugreifen kann, wenn einmal ein Anschlag verübt worden ist; möglicherweise wird ja auch wirklich eine Vielzahl von Verbrechen verhindert. Wo also ist das Problem?

Ich denke, dass die Kritiker falschliegen, wenn sie den Schutz des Einzelnen vor dem Missbrauch der Überwachung ins Zentrum ihrer Argumentation stellen. Im Einzelfall kann tatsächlich Schindluder getrieben werden. Unbeteiligte können bei einer Fahndung durch Zufall ins Visier der Polizei geraten. Ein Beamter kann sich mit Daten an einem Konkurrenten rächen oder dem Geliebten seiner Frau. Allerdings: Es sind uns Journalisten kaum Fälle bekannt, in denen das alles tatsächlich geschehen ist.

Kleine Erwähnung am Rande: Mir wurde vor Jahren das Telefonprotokoll eines abgehörten Telefonats zwischen Karl-Heinz Grasser und seiner Frau Fiona zugespielt, in dem ich als profil-Herausgeber eine gewisse Rolle spielte. Ich darf daraus nicht zitieren. Aber der Text ist so skurril, dass er gerahmt bei mir an der Wand hängt.

Das Problem liegt aber eben nicht im Normalfall und in den Skurrilitäten, und das verkennen die Datenschützer. Problematisch werden die Überwachung, die Datenspeicherung, die bereits gespeicherten Daten, wenn sich das politische System als Ganzes dreht und wendet. Dann sind die Bürger dieses Landes im großen Stil gefährdet. Es ist fahrlässig, dass gerade die Sozialdemokratie diesen Aspekt vergisst, dass stattdessen das Schreckgespenst eines wildgewordenen Innenministers oder eines unkontrollierten Geheimdienstes aufgemalt wird.

Dabei hat der Spitzelskandal der 1990er-Jahre mit den Namen Jörg Haider, Hilmar Kabas, Michael Kreißl und Josef Kleindienst einen Vorgeschmack darauf gegeben, was möglich ist – und was rechtlich durchgeht, denn alle Verfahren sind damals im Sand verlaufen. Es reicht freilich auch ein Blick in andere europäische Länder, um eine Demonstration von der Fragilität demokratischer Systeme zu bekommen: jetzt Ungarn und Polen, zuvor schon die Slowakei, erst recht die Türkei. Ein autoritäres, wenn auch demokratisch gewähltes Regime schert sich nicht um die Checks und Balances bei der Überwachung seiner Bürger, da werden ganze Berufs- und Bevölkerungsgruppen mit legal oder illegal beschafften Daten ausgehoben und ausradiert.

Wer glaubt, eine vergleichbare Verschiebung des politischen und rechtlichen Gefüges sei in Österreich undenkbar, ist naiv bis zur Selbstgefährdung. Und dieser Systemwandel wird durch eine Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen nicht unwahrscheinlicher.

Wie viel Überwachung brauchen wir also? Die Frage lautet besser: Wie viel Überwachung verträgt die Republik? Die Antwort klingt wie ein Paradoxon: Je demokratischer ein Staatsgefüge ist, umso mehr Überwachung kann es gebrauchen. Je instabiler ein Staat ist, umso weniger Überwachung darf möglich sein. In dem einen Fall ist Missbrauch unwahrscheinlich, im anderen jederzeit möglich. Auf Österreich gemünzt: Angesichts des politischen Wechselwetters sollten wir bis auf Weiteres besonders kleine Sicherheitspakete schnüren.