Christian Rainer: Linksbalzer

Christian Rainer: Linksbalzer

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Es mag an wechselhafter Erfahrung mit Politikern über Jahrzehnte liegen oder auch am Misstrauen gegenüber den aktuell hochgeblasenen Ideen: Ich nehme Syriza, der SPÖ, all den anderen aufblühenden linken Bewegungen nicht ab, dass sie tatsächlich mit dem Ziel agieren, eine gerechtere Welt zu schaffen. Ich denke vielmehr, dass hier ausschließlich um Macht gerungen wird – mit heißer Taktik etwa in Athen, mit kühler in Österreich oder mit Strategie beim unentschlossenen Präsidenten des Europäischen Parlaments. Und es erscheint mir unwahrscheinlich, dass hinter und neben und über all dem Verhandlungsgeschiebe, das sich rund um die griechische Zahlungsunfähigkeit wälzt, eine größere Idee steht, deren Verwirklichung die handelnden Personen im Auge hätten.

Allzu schade. Der Anlass wäre günstig, eine Debatte über das Wohlstandsgefälle der Binnengesellschaften, der EU, der Welt zu führen. Allenfalls Korrekturen vorzunehmen. Da bin ich der Meinung von Ferdinand Lacina, mit dem profil für die Titelgeschichte dieser Woche gesprochen hat.

Der Reihe nach.

Warum der Zweifel an den Beweggründen der sogenannten „Linken“, die nun teils nassforsch, teils als Trittbrettfahrer auf den Plan gehüpft sind?

Einerseits simpel, es fehlt einfach an Beispielen für Spitzenpolitiker – rechts wie links –, die sich vom Zwang des täglichen Machterhaltens befreien konnten, um Ziele zu verfolgen, die jenseits der nächsten Wahlen liegen. In Österreich war Franz Vranitzky der Letzte, dem man diese Freiheit zubilligen durfte: Der EU-Beitritt war keinesfalls geeignet, populistisch aufgeladen Stimmen zu arrondieren, vielmehr war der Beitritt ein Risiko für die Regierungsparteien und besonders für den Kanzler. Wolfgang Schüssel war keiner dieser Großen, er riskierte nur den Ruf der Republik, sein Schicksal wäre 1999 ja schon besiegelt gewesen. Wo sonst in Europa? Eine rare Spezies, in dieser Hinsicht ist Angela Merkel kein Beispiel.

Aber es fehlt nicht nur an Tatkräftigen, es fehlt auch an Menschen, die kraft ihres Wortes eine Richtung definieren, in die sich die Gesellschaft bewegen soll. Alexis Tsipras ist weder das eine noch das andere. Er ist als Nachlassverwalter einer moralisch korrupten Elite nach oben geschwemmt worden. Warum fehlt es? Vielleicht ein Zufall der Zeit; vielleicht sind die Fesseln durch Globalisierung, Europäisierung und Verschuldung zu eng geworden, um Bewegung zu erlauben.

Andererseits: Zweifel am Bestand der neuen linken Bewegung kommen auch ob der Werthaltigkeit ihrer Programme auf. Tsipras zum Beispiel: Kurzfristige Maßnahmen im Land wie ärztliche Versorgung für alle sind notwendig (aber nicht links). Das Verhalten gegenüber der EU, der Troika ist Verhandlungsmunition (aber keine scharfe). Darüber hinaus fehlt jede ökonomische Theorie, die über den künftigen Kurs Griechenlands Auskunft geben könnte – und damit den Genossen im Rest Europas darüber, wohin die Reise gehen wird. Sollen die Reichen enteignet werden (sie haben ihr Geld meist im Ausland), Unternehmen verstaatlicht (mangels greifbarer Masse nur als Notmaßnahme), soll umverteilt werden (mangels Einnahmen schwierig)?

Und nochmals Faymann: Die ultimativ geforderte (und am Freitag der Vorwoche resignativ begrabene) Substanzsteuer der SPÖ ist ein paradigmatischer Beweis für die bloße Scheinexistenz einer neuen linken Lehre. Sie hätte nichts an der ungerechter – pardon: ungleichmäßiger – werdenden Vermögensverteilung geändert. Populismus in reiner Leere.

Nochmals: schade. In Abwesenheit von gesellschaftlichem Grundkonsens darüber, dass die Vermögen stärker zu den bereits Wohlhabenden wandern sollen, ist die Tatsache, dass sie es dennoch tun, dass die Reichen also reicher werden, offensichtlich eine ungewollte Entwicklung. Ähnliches gilt für die Einkommensverteilung (wo nur steigende Transferleistungen des Staates ein weiteres Auseinanderklaffen bremsen, wie der Thinktank „Agenda Austria“ errechnet hat).

Wenn diese Entwicklung aber ungewollt ist, dann müsste ihr Einhalt geboten werden. Wie? Wohl doch über Erbschaftssteuern, auch – sorry – für den „kleinen Häuslbauer“. Und damit sich endlich etwas an der Einkommensverteilung ändert: nicht durch höhere Steuern auf Arbeit, sondern über Bildung für sozial schwache Familien. Volkswirtschaftliche Maßnahmen? Sparen, nicht auf Pump investieren, Bürokratie verschwinden lassen, den Arbeitsmarkt marktwirtschaftlich organisieren. „Solidarische Hochleistungsgesellschaft“ nannte das einst Alfred Gusenbauer.

Linke Ideen? Wohl nicht. Aber funktionsfähige.