Christian Rainer: Merkel? Husslein? Grasser?

Merkel hat recht. Husslein geschieht Unrecht. Grasser geschieht’s zu recht.

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1. Angela Merkel hat ihren Satz vergangene Woche wiederholt. Sie will es also noch immer „schaffen“, Deutschland müsse es „schaffen“. Was ist davon zu halten, nachdem sich die von der deutschen Bundeskanzlerin vor einem Jahr ausgerufene Willkommenskultur als nicht dauerhaft tragfähig erwiesen hat? Eine Durchhalteparole? Träumerei? Oder die realisierbare Vision einer Politik, die inzwischen zum deutschen Sonderweg geworden ist? Ich halte es mit der dritten Variante: vielleicht machbar, jedenfalls sinnvoll.

Jetzt werden Sie mir vielleicht entgegenhalten, dass dieser meiner Meinung nicht nur die Realität eines von der Migration offensichtlich überforderten Europas entgegensteht: Brexit, Terror, FPÖ bei 35 Prozent. Sie werden auch ins Treffen führen, dass ich doch selbst mehrfach geschrieben habe, vor einem Jahr sei Humanität zwar Pflicht gewesen, zwölf Monate später unter anderen Rahmenbedingungen seien aber dichte Außengrenzen eine Notwendigkeit (und dass ich überdies die Chuzpe hätte zu behaupten, zwischen diesen beiden Verhaltensweisen bestünde kein Widerspruch). Nun, bei Merkel verhält es sich ja anders. Erstens hat sie diesen Satz auf den Terror bezogen, der auch von frisch eingeschleusten Islamisten verübt wird; sie hat ihren Urlaub für eine Pressekonferenz aus diesem Anlass unterbrochen. Und der Zusammenhang zwischen der Million Flüchtlinge, die 2015 nach Deutschland kamen, und den Attentaten ist ein schwacher. Zweitens sieht die innenpolitische Landkarte bei Merkel anders aus als in Österreich oder Frankreich: Die AfD steht nicht an der Schwelle der Kanzlerschaft und die Bundesrepublik nicht vor der Wahl eines Odinisten zum Staatsoberhaupt. Drittens hat sich Deutschland anders als Österreich eine Kollektivverantwortung für den vielmillionenfachen Ausländer- und Rassenmord der Nationalsozialisten aufgeladen, und das (unmögliche) Abtragen dieser Schuld klingt bei Merkels Worten mit. Und viertens: eben die Worte. Merkel spricht im Wissen, dass der Zuwandererstrom ohnehin versiegt, mahnt aber, dass die Haltung, die Schaffens-Kultur, als Grundsatz bleiben sollte.

Thomas Drozda hat Husslein auf Basis eines Gutachtens entfernt.

2. Der Kulturminister gab am vergangenen Mittwoch bekannt, er werde die Ausschreibung für die Leitung des Belvedere stoppen und den Vorgang wiederholen. De facto heißt das: Die amtierende Direktorin Agnes Husslein, die mit einer Verlängerung ihres Vertrages rechnen durfte (weshalb sich auch kein ernsthafter Gegenkandidat beworben hatte), wird eliminiert, und das unehrenhaft. Angesichts der tatsächlichen und medialen Bedeutung des Museums und der damit korrespondierenden Persönlichkeit Husslein hier einige Zeilen zu dieser Entscheidung. Angesichts der mir bekannten Fakten ist sie nämlich nicht nachvollziehbar.

Thomas Drozda hat Husslein auf Basis eines Gutachtens entfernt. Dieses war nach Anschuldigungen einer Mitarbeiterin angefordert worden, die ihre eigenen Karrierechancen im Hause schwinden sah, die freilich das nun monierte Verhalten über Jahre begleitet, wenn nicht abgesegnet hatte. Das Substrat des Gutachtens ist dünnflüssig: Vergleichbare Macheloikes können bei jedem Manager konstruiert werden: Warum etwa soll private Infrastruktur nicht von Museumangestellten installiert werden, wenn diese – wie ein Drucker – wohl hauptsächlich beruflich genutzt wird. Dort, wo es etwas heikler wird – bei der Verlegung des Dienstortes im Sommer etwa –, handelte Husslein mit Zustimmung ihres Aufsichtsorgans, des Kuratoriums. Dass dieses Kuratorium dem Minister keine Protokolle übermittelte, brachte Drozda gegen das Belvedere ins Spiel, wiewohl die Anforderung dieser Informationen wohl eine Holschuld seines Vorgängers war. Jedenfalls sind die Vorwürfe so dünn, dass Husslein nicht abberufen wurde, sondern ihren Vertrag ausdienen soll.

Jeder, der es sich nicht richten und nicht leisten könnte, wäre nach sieben Jahren längst verurteilt oder freigesprochen worden.

Fehlverhalten, das eine derart spektakuläre Aktion rechtfertigt, sieht anders aus. Und muss zwingend unabhängig davon sein, ob Husslein als Führungskraft sehr unangenehm war (war sie), ob sie eine sehr gute Direktorin war (war sie) und ob sie in ihrer parteipolitischen und gesellschaftspolitischen Zugehörigkeit aus einer dem Minister und dem Kanzler sehr fernen Ecke kommt (kommt sie). Der Schein möge trügen, dass diese Entscheidung vom letztgenannten Punkt eben nicht zwingend unabhängig war!

3. Vergangene Woche gab Karl-Heinz Grassers Anwalt bekannt, dass er die Anklageschrift gegen seinen Mandanten beeinspruchen wird. Die Fertigung dieses 800-seitigen Schriftsatzes hat sieben Jahre gedauert. Angesichts der Komplexität des Werkes nehme ich die Kritik an der Dauer der Erstellung zurück. Zumal Grasser das Verfahren ja selbst in unendliche Länge gezogen hat. Doppelt zynisch ist daher die Aussage von Anwalt Manfred Ainedter, dass es auf ein weiteres Jahr durch den Einspruch auch nicht mehr ankomme. Und einfach zynisch ist: Jeder, der es sich nicht richten und nicht leisten könnte, wäre nach sieben Jahren längst verurteilt oder freigesprochen worden. Ein Unrechtsstaat im Rechtsstaat.