Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer: Neujahr

Neujahr

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Eben erst hat Österreich gewählt. Die Wahlbeteiligung war respektabel. Eine grundsätzlich zu respektierende Regierung ohne offensichtliche Idioten und Falotten wurde vereidigt (wenn auch mit einem luftleeren Programm im Sack; kein Vakuumprogramm, das würde immerhin Ideen, Inhalte ansaugen). Die rechten Hetzer und Verletzer blieben draußen. Da war nicht einmal ein Zucken in Richtung FPÖ zu spüren, weder von der Volkspartei, noch hat sich die Bevölkerung den Strache auf den Machtstrich gewünscht.
Gute Voraussetzungen für 2014 und nachfolgende Jahre, könnte man meinen. Das meinen auch die Ökonomen, die leidlich schönes Wachstum und die Stabilität des Eurokreisels versprechen.

Doch es hakt. Freude über das kleine Glück, aber im Großen glückt es nicht. Die große Herausforderung heißt Demokratie. Die Ökonomie hat das Dilemma in den vergangenen Jahren zugedeckt. Wir hier auf den Hochsitzen der Medien spüren das schon lange. Vor 20 Jahren und auch noch vor zehn (zusätzlich verzerrt, denn da peinigte uns Schwarz-Blau) war die Sorge um politischen Einfluss auf unser Schreiben das tägliche Brot der Redakteure, da galt es in Permanenz, Abwehrhaltung zu signalisieren, damit Interventionen nicht unser Geschäft und in der Folge unsere demokratischen Funktionen unterminierten. Der ORF kann ein lautes Lied auf dieses Leid singen.

Jetzt ist das Bild gekippt. Zeitungen, Zeitschriften, Fernsehen, Radio kämpfen gegen die Verelendung durch ökonomische Dürre. Die Erträge sind schlecht, da kann auch nicht mehr gedüngt werden, das macht die Ernte der Folgejahre erst recht spärlich. Der direkte Zugriff der Politiker und der Ideologen auf Inhalte wird zwar nicht mehr gewagt, zu heikel, zu viel Öffentlichkeit, soziale Netzwerke. Aber das ist ohnehin nicht weiter das Problem der Journalisten. Man kämpft nun nicht mehr unter stolzen Fahnen um ein inhaltliches Überleben, sondern mit dem Rechenschieber um das ökonomische. Der Blick auf das Ganze, auf unsere Aufgabe als Saat im Staat, geht da schnell verloren.

Mir scheint, dies ist ein griffiges Gleichnis für die Lage der Republik, mit Abstrichen auch für die Lage Europas. Die Ökonomisierung des Alltags lässt wichtige Strukturen der politischen Gesellschaft verkümmern. Wer permanent um sein Fortkommen kämpft, kann sich nicht auch noch aufmerksam dem Orchideenfach Demokratiebeobachtung widmen – erst recht nicht, sobald die Gefechtslage hoffnungslos wird: Welcher Arbeitslose, Umzuschulende, Einzusparende, Mindestrentner wälzt schon Grundsatzgedanken? Wenn es ans Eingemachte geht, hat das Ausgedachte Pause. Und weil die Kluft zwischen Arm und Wohlbestallt breiter und tiefer wird, haben immer mehr Pause.

So scheint es: Der wirtschaftliche Druck hat Bevölkerung und Staat über die Jahre mehr und mehr auseinandergedrückt. Wer die Verteilungsschere ein wenig zusammenkriegt, schert sich nicht um die Verteilung der Macht im Land. Wenn er endlich Butter auf dem Brot hat, sind ihm die Politiker mit der Butter am Kopf scheißegal. Erst kommt das Fressen, dann kommt keine Moral.

Das gilt auch beim zweitreichsten Mitglied der Union. Bei uns ist das Börserl fetter, doch die Demokratie war hier immer schon dünner.

2014 und folgende also. Konkret heißt das: Es gilt, die Wachsamkeit der Österreicher gegenüber Zersetzungstendenzen der Demokratie zu stärken. Die liegen einerseits wie seit Jahrzehnten im diffus-autoritären rechten Lager, das sich nun anschickt, zur stärksten Kraft im Land zu werden. Diese Größe im Zusammenspiel mit den faschistischen Wurzeln und Einsprengseln der FPÖ macht Österreich zum Sonderfall in Europa.

Die Zersetzungsgefahr liegt aber andererseits eben genau im Nachlassen dieser Wachsamkeit. Ein potenzieller Selbstzerstörungsmechanismus: Wenn die Demokratie sich nicht mehr für die Demokratie interessiert, wird sie instabil, sie löst sich auf, sie verschwindet.

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