Christian Rainer: Das Ohr des Kanzlers

Und jetzt auch noch TTIP. Christian Kern gibt Rätsel auf. Wir lösen sie.

Drucken

Schriftgröße

Wenn die SPÖ über die ÖVP spricht, dann lautet das Mantra (und nicht erst, seit Christian Kern Kanzler ist): Der Koalitionspartner sei kein Partner, er hintertreibe vielmehr mal reflexartig, mal böswillig alles, was ausgedacht oder ausgemacht ist. Wenn hingegen die Volkspartei über die Sozialdemokraten herzieht, dann tönt als Stehsatz: Deren Politik sei links, daher unrealistisch oder gar schädlich. Diese Kritik ist eher neu (und steht sehr wohl im zeitlichen Zusammenhang mit dem Wechsel an der Parteispitze). Daher und wegen des aktuellen Falls TTIP wollen wir uns heute mit eben dieser Einschätzung beschäftigen: Ist Kern wirklich links?

Meine These dazu: Die Antwort ist in der Praxis irrelevant, denn Kern ist Populist. Was – um nochmals den Bezug zur Vorperiode herzustellen – nun ironisch anmutet, weil Populismus im Sinne von Boulevard-Bezug ja eine Eigenschaft war, die man dem Vorgänger Werner Faymann vorgehalten hatte und die er sich noch vor Amtsantritt mit einem Unterwerfungsbrief an „Krone“-Herausgeber Hans Dichand redlich verdient hatte. Hier liegt aber auch der Unterschied: Obwohl eben diese „Kronen Zeitung“ nun die Absage der Bundesregierung an TTIP als ihren eigenen Sieg feiert und das in Feierlaune mit entsprechenden selbstbezogenen Faksimiles belegt, ist Kerns Populismus vermutlich keiner, der sich von den Boulevardmedien ableitet. Vielmehr scheint der Mann hier den direkten Zugang zur Volksmeinung und zur Meinung seiner Wähler zu suchen. Seine Ankündigung, er werde das ob seiner Komplexität dafür vollkommen ungeeignete Thema CETA den Parteimitgliedern zur Abstimmung vorlegen, ist dafür ein hinreichendes Argument.

Erwin Pröll meinte vergangene Woche in einem ORF-Interview, „dass in der SPÖ durch den Bundeskanzler Kern so etwas wie ein Linksruck stattgefunden hat“.

Einen Schritt zurück: Nachdem wir eben beleuchtet haben, was Populismus sein kann, nämlich das Ohr näher beim Mund des Volks zu haben als beim eigenen Gehirn, klären wir kurz, wo die Bedeutung von „links“ hingekommen ist. Ich denke, dass sich diese Verortung nur mehr auf wirtschaftspolitische Themen anwenden lässt. Die Gretchenfragen sind obsolet geworden: Die Bedeutung von Gott und Kirche, Familienbilder inklusive homosexueller Verbindungen, selbst die Bildungspolitik taugen nicht mehr als Wasserscheide zwischen den Welten. Dieses Verschwinden der gesellschaftspolitischen Koordinaten trug mächtig bei zur Aufweichung und Zersetzung von sozialistischem und christlichsozialem Lager im Parteiengemenge. Was als Gradmesser für Abweichungen nach links oder rechts bleibt, ist die Ökonomie: einerseits die Verteilungsfrage, also die Entscheidung, wie stark der Staat in die Vermögensverhältnisse seiner Bürger eingreifen soll; andererseits das Verhältnis zum Markt, also die jeweilige Wertschätzung für den freien Handel und die Haltung zum Staat als Unternehmer.

Erwin Pröll meinte vergangene Woche in einem ORF-Interview, „dass in der SPÖ durch den Bundeskanzler Kern so etwas wie ein Linksruck stattgefunden hat“. Mag sein, dass sich eine Verbindung zu den von Pröll genannten Punkten „Asylfrage“, „Notverordnung“ und „Mindestsicherung“ finden lässt, freilich steht Kern da noch immer „rechts“ von Angela Merkel. Eher noch trifft das bei der „Maschinensteuer“ zu. Aber noch viel eher wäre eben TTIP zu erwähnen gewesen, was Pröll freilich ausließ, zumal sich sein eigener Bundesparteichef genau in dieser Frage einen „Wettlauf der Globalisierungskritiker“, so ein Titel in den „Salzburger Nachrichten“, mit dem Kanzler geliefert hatte.

In diesem Sinne vermute ich, dass es sich bei Kerns scheinbar linken wirtschaftspolitischen Ideen mehr um ein Symptom handelt als um Überzeugung: eben um ein Symptom von Populismus. So hat Kern ja bisher nicht die Vermögensfrage in den Mittelpunkt gestellt. Die Verteilung des Reichtums und die Entwicklung dieser Verteilung wären aber leichter zu diskutieren als die unverständlichen Begriffe Maschinensteuer, TTIP oder CETA. In diesem Umfeld, tief drinnen, dürfte auch Kerns „linke“ Überzeugung von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit wohnen. Aber populär ist das Thema Vermögens- oder Erbschaftssteuern nicht, und daher hat er es nicht angefasst.

Kern steht somit mehr unter Populismus- als unter Linksverdacht.

Bei TTIP hingegen hat er selber ausgeplaudert, was Sache ist: Seine Begründung, was faktisch gegen das Freihandelsabkommen spricht, blieb hohl. Hängengeblieben ist hingegen der Satz, dass man dieses Abkommen nicht gegen die Stimmung im Lande durchsetzen könne.

Kann man das wirklich nicht? Lässt man beim nächsten Mal darüber abstimmen, ob die Geldmenge M3 durch Repoverbindlichkeiten oder durch Geldmarktpapiere vergrößert werden soll? Darf das Volk dann auch per Volksbefragung über die richtige Weltformel bestimmen? (Oder dürfen das nur die Parteimitglieder?)

Kern steht somit mehr unter Populismus- als unter Linksverdacht. Merke: Als ÖBB-Chef war er unter anderem ein blendender Vermarkter. Er hat dem Land so lange erzählt, dass die ÖBB Gewinne machen, bis das Volk wirklich glaubte, die als Infrastrukturinvestitionen getarnten Kosten des Schienenverkehrs hätten nichts mit dem Betrieb von Zügen zu tun und würden nicht von Steuergeld bezahlt. Am Ende hat das Christian Kern vielleicht auch selbst geglaubt.