Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Opel-Kapitäne

Opel-Kapitäne

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4,5 Milliarden Euro an unsicheren Krediten und bedingungslosen Bürgschaften – so viel steckt der deutsche Staat in die Rettung von Opel. Das ist offiziell kein verlorenes Kapital. Aber wer würde mitten im Wahlkampf schon zugeben, dass es um dieses Geld wesentlich schlechter steht als um jenes, das zur Absicherung der globalen ­Finanzwirtschaft eingesetzt wird?

Karl-Theodor zu Guttenberg richtete den Österreichern freilich postwendend aus, dass er auch eine substanzielle Überweisung aus Wien erwarte. Für diese Nachricht wählte der deutsche Wirtschaftsminister skurrilerweise ein „ZiB2“-Interview, was seinen Konterpart Reinhold Mitterlehner sichtbar überrascht reagieren ließ. Viel Geld, das da in Erhaltung und Schließung gebrauchter Fabriken gesteckt wird. Aber es geht ja um Arbeitsplätze. Und da nimmt die Politik nonchalant hin, dass zum Zeitpunkt des Zuschlags an das russisch-österreichische Konsortium weder die finanziellen Rahmenbedingungen geklärt waren noch die industrielle Strategie der Käufer, ja dass folgerichtig nicht einmal sicher war, dass die Käufer nun tatsächlich einen endgültigen Zuschlag erhalten hatten.

Sicher ist bloß, dass hier von komplex wirkenden Kräften zwischen Detroit, Berlin, Moskau und Oberwaltersdorf (klingt doch gut in dieser Aufzählung?) eine Entscheidung getroffen wurde, die nicht in die Zukunft gerichtet ist, sondern in die Gegenwart und allenfalls in die Vergangenheit. Opel produziert Autos. Autos vernichten Energie zum oft unnützen Transport von Waren und Personen. Diese Energie wird in einer Zeitspanne aufgebraucht sein, die im Verhältnis zur bisherigen Menschheitsgeschichte minimal kurz ist. Und ­unangenehmerweise erfolgt diese Vernichtung nicht rückstandslos, sondern – wie seit Kurzem wissenschaftlich vermessen – unter spektakulärer Schädigung von Erde und Luft. Opel wird also gerettet. Doch unter Fortschreibung der genannten Schädigungen werden es in wenigen Generationen ab heute vor allem Lurche sein, die sich hinter das Lenkrad klemmen. Auch das ist wissenschaftlich bewiesen. Aber Hauptsache, Opel (samt den deutschen Großparteien) wird gerettet.

Eine meiner interessantesten Erfahrungen während der noch lange nicht vergangenen Wirtschaftskrise ist die Einigkeit aller Experten über einen zentralen Punkt in Kombination mit der absoluten Folgenlosigkeit dieser gemeinsamen Erkenntnis. Notenbanker, Wirtschaftswissenschafter, Unternehmer und Politiker nennen bei der Frage nach den schwachen Stellen der Krisenbekämpfung unisono die Fehlallokation der eingesetzten Mittel. Das Geld sollte in Zukunftstechnologie fließen, was genauso schnell und damit die Wirtschaft belebend möglich wäre, statt es in bestehende Industriestrukturen zu leeren. Die Kongruenz der Argumentation geht sogar noch weiter: Man sollte die Entwicklung und den Ausbau von Energietechnologie auffüttern, statt Abwrackprämien zu verschenken.
Solarzellen statt Opel also.

Umso erstaunlicher: In den Konjunkturpaketen dies- und jenseits der österreichischen Grenze findet sich kaum eine Spur von jenem Gedanken, über den offensichtlich Einigkeit herrscht. Die Umsetzungstauglichkeit des gemeinsamen Befunds tendiert gegen null. Die Schuld an diesem Versagen? Drei Konstellationen: Erstens reagierte die Politik im zurückliegenden Jahr mehrheitlich panisch, was an der Überforderung durch Vielzahl und Komplexität der notwendigen Entscheidungen liegt. Für den Kollaps des Geldwesens gab es keine Notfallpläne. Zweitens wäre durch die internationale Vernetzung der Wirtschaftsströme eine gemeinsame Umsetzung der hehren Erkenntnisse erforderlich. Was die Angelegenheit noch komplizierter macht. Drittens setzen sich die Lobbys der bestehenden ­Unternehmen auf Eigentümer- wie auch Mitarbeiterseite durch. So konnte zum Beispiel Opel nicht in Konkurs geschickt werden. Ganz im Gegenteil.

Zusammenfassend: In dieser Krise wird die singuläre Chance verspielt, komplett umzudenken, alle Strukturen aufzubrechen und damit die Welt zu retten. Stattdessen bleiben die großen Industrieländer unter anderem bei ihrem hart genug errungenen Ziel, die Erderwärmung in den nächsten Jahrzehnten mit zwei Grad zu begrenzen. Wissenschafter warnen gleich doppelt: Einerseits führen zwei Grad bereits zu unabsehbaren Folgen, andererseits haben die involvierten Staaten in keiner Weise vorgesorgt, dass auch nur dieses hochriskante Ziel erreicht werden kann. Unter den Folgen, die bloße zwei Grad mehr haben können, sieht die Wissenschaft unter anderem das Aussterben der Menschheit innerhalb weniger Generationen. Bei diesen Voraussetzungen könnte sich profil Titelgeschichten wie die dieswöchige – „Medizin nach Maߓ – eigentlich sparen. Aber Opel wird gerettet. (Noch dazu von den Österreichern.)

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