Christian Rainer: Das Perpetuum mobile der Populisten

Christian Rainer: Das Perpetuum mobile der Populisten

Christian Kern geht. Der Anteil des SP-Chefs an seinem eigenen Schicksal ist geringer, als es scheint.

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Eine Formulierung, für die profil mehrfach kritisiert wurde, lautete: „Kern und Kurz. Unter Europas Besten.“ Es war die Titelzeile auf dem Cover vom 28. April 2017, illustriert mit einem Foto der beiden bei einem Gespräch in einem New Yorker Restaurant. Zwölf Tage später trat Reinhold Mitterlehner als ÖVP-Obmann zurück, zwei Monate darauf folgte ihm Sebastian Kurz nach, weitere acht Monate später war Kurz Bundeskanzler. Als jenes profil erschien, war Christian Kern elf Monate Regierungschef und SPÖ-Obmann gewesen. Kanzler sollte er noch acht Monate bleiben, Parteichef ein Jahr länger – bis zum kommenden November, wenn ihm Pamela Rendi-Wagner folgt.

Hatte profil im April 2017 recht? Was ist geschehen, was wird geschehen?

Die Kritik, die bisweilen heftig an profil – und vor allem an mir wegen eines ähnlich lautenden Satzes in einem Leitartikel – geäußert wurde, bezog sich fast ausschließlich darauf, dass wir Kurz zu den „Besten“ in Europa gezählt hatten. Unsere Einschätzung von Kern wurde nicht bemängelt, trotz seiner Wahlniederlage und trotz eines desaströsen, von mangelnder Menschenkenntnis und fehlendem Management gekennzeichneten Wahlkampfes. Ich führe dieses Ungleichgewicht in der Beurteilung auf ein von humanistischen Idealen geprägtes Weltbild der Kritiker zurück, und daher will ich diese Sicht der Dinge und die Anfeindungen auch nicht als Schmarrn abtun – zumal in Zeiten wie diesen mit einer Ausländerhetzerei wie jener.

Nahe an den Fakten ist die Angelegenheit aber anders zu beurteilen: Vor allem ist der Superlativ von „gut“ nicht die Substantivierung des Adjektivs, bedeutet also nicht „ein Guter“. „Unter Europas Besten“ ist kein Werturteil. Vielmehr liegt der Bedeutungsinhalt in der Tatsache, dass sowohl Kurz wie auch Kern den Österreichern auf dem internationalen Parkett keine Schande machen, niemals peinlich sind, vielmehr nach einigen verbesserungsfähigen Jahren unter den jeweiligen Vorgängern Spieler und Mitspieler der Weltpolitik sind und waren. Noch einmal: Das bedeutet keineswegs, man müsste den knallharten Migrationskurs von Kurz gutheißen oder seine mangelnde Abgrenzung von Ungarn und Polen (und der FPÖ). Es bedeutet umgekehrt nicht, dass man der unentschlossenen EU-Politik der SPÖ applaudieren müsste, die sich in der Migrationsfrage inzwischen kaum von jener der Volkspartei unterscheidet.

Kern bekam einfach deshalb keine Chance, weil Kurz das Thema Migration besetzt hatte und niemals freigab.

Doch Kern und Kurz agieren auch diesseits der Grenzen professionell. Beide sind überzeugende Redner, der eine vielleicht mit zu vielen Zitaten, der andere mit zu wenigen; sie verstehen die innenpolitische Materie, der eine mit viel Ideologie, der andere mit wenig. Auch die Personalauswahl ist in Ordnung – zumindest gemessen an den Ministern der SPÖ unter Kern sowie der ÖVP jetzt und in Relation zu früheren Regierungen.

Gerade was Christian Kern betrifft, mag dieses Beharren auf einem positiven Zeugnis verwundern: der kürzestdienende Kanzler und Parteichef; ein Abgang mit der Bemerkung, Oppositionspolitik gleiche dem „Eindreschen auf Leute mit einem Bihänder“ – was das Bild von Politik im Allgemeinen massiv beschädigt und die weitere Arbeit der SPÖ in der Opposition auch.

Dennoch – und damit sind wir bei der Frage angelangt, was denn eigentlich in den vergangenen eineinhalb Jahren seit jenem profil-Cover geschehen ist: Ich bin überzeugt davon, dass Christian Kern niemals eine Chance hatte, dass er nicht an sich gescheitert ist, nicht an der Partei, auch nicht daran, dass Sebastian Kurz ihm taktisch überlegen war. Kern bekam einfach deshalb keine Chance, weil Kurz das Thema Migration besetzt hatte und niemals freigab. Er hatte sich als Außenminister den Ruf erworben, eine bis zum Abwinken harte Linie gegen Migranten und gegen Ausländer zu verfolgen. Die SPÖ hingegen irrlichterte – sympathisch, aber fern der Befindlichkeit von Wählern. Ein guter Hinweis auf die Stichhaltigkeit dieser Analyse: Als Kurz die ÖVP übernahm, lag die FPÖ in allen Umfragen auf Platz eins, dahinter die SPÖ, die Volkspartei auf drei. Rund zwei Wochen später veröffentlichte profil eine Umfrage: Die Verschiebung, die sich allein durch die Nominierung von Kurz ergeben hatte, entsprach fast auf den Punkt genau dem Ergebnis, das ÖVP, SPÖ und FPÖ sechs Monate später erreichten. Der Wahlkampf änderte nichts, auch während des Wahlkampfs gab es wenig Bewegung.

Inzwischen ist die Realität allerdings eine völlig andere geworden: Der Zustrom von Flüchtlingen nach Europa ist seit 2015 um 95 Prozent gesunken. Das Perpetuum mobile der Populisten sind die Flüchtlinge aber geblieben. Die entscheidende Frage für die SPÖ wird sein: Was hat Pamela Rendi-Wagner diesem Zerrbild der Wirklichkeit entgegenzusetzen?

[email protected] Twitter: @chr_rai