Christian Rainer: Die Ruhe im Sturm

Oder auch: Die Normalität des Ausnahmezustandes.

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Ende der vergangenen Woche postete Christian Kern auf Instagram, rot unterlegt samt selbstreferenzieller Autorenzeile: „Die Geister, die die ÖVP rief, wird sie nicht mehr los. Sie hat die Kontrolle darüber verloren.“ Stimmt das?

Nun, der SPÖ-Chef ist in Opposition, und da wird die Zuspitzung geschwind zur Eichgröße und das Pathos zur Alltagssprache. Vernachlässigen wir auch für einen Moment, dass die SPÖ im Burgenland die Geister längst gerufen hatte und dort so ungeniert wie komfortabel mit den Freiheitlichen deren Beschwörung betreibt! Vergessen wir überdies, dass Kern – die Hände in der Unschuld eines „Kriterienkatalogs“ waschend – jederzeit eine Koalition mit der FPÖ gebildet hätte, um sich und die Partei an der Macht zu halten!

Was bleibt unter diesen Vorbehalten vom Kern-Satz? Ich meine, und das entspricht interessanterweise dem Hintergrundrauschen in der Bobo-Blase wie auch dem Lärm in den Boulevard-Blättern: Sebastian Kurz hat zwar nicht die Kontrolle über den Koalitionspartner und damit über seine Regierung verloren. Aber die FPÖ schlingert früher und heftiger als erwartet.

Was war denn zu erwarten gewesen? Niemand kann überrascht sein, dass diese bürgerliche, konservative, rechte Regierung eine bürgerliche Familienpolitik, eine konservative Wirtschaftspolitik und eine rechte Sicherheitspolitik machen würde. Dafür – unter besonderer Berücksichtigung der Ausländerfrage – wurden Kurz und Strache gewählt, an Charisma hätte es Kern mit den beiden schon aufnehmen können. Ebenso wenig überrascht die Performance der Volkspartei: Der Kanzler macht keine Fehler und führt mit strenger Hand, das ÖVP-Team ist professionell und unauffällig.

Als Unsicherheitsfaktor bleiben die Freiheitlichen. Da konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf drei Themen: Nationalsozialismus, Dilettantismus, Korruption. Und beim ersten Thema ist die Partei binnen kurzer Zeit in die Bredouille geraten: mit einer Traditionspflege von „völkischen“ Verbindungen, die Jörg Haider die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätte. Aus der ÖVP hört man, dass diese Entwicklung und auch der frühe Zeitpunkt durchaus den Erwartungen entspricht. Tatsächlich überrascht bloß, dass entsprechendes Material trotz der Arbeit von Hunderten Journalisten und Wissenschaftern jetzt erst auftaucht, 32 Jahre nach Haiders Machtübernahme.

Wer persönliche Gespräche mit überzeugten Mitgliedern schlagender Burschenschaften führt, kann ohnehin keinen Zweifel an deren spezifischem Geschichtsbild, ihrer Haltung zu Rasse und Vererbung haben.

In der Sache ist gar nichts überraschend: Wer persönliche Gespräche mit überzeugten Mitgliedern schlagender Burschenschaften führt, kann ohnehin keinen Zweifel an deren spezifischem Geschichtsbild, ihrer Haltung zu Rasse und Vererbung haben. Aber es bedarf auch allergrößter Anstrengung, um abseits solcher persönlicher Wahrnehmung nicht die richtigen Schlüsse zu ziehen. Ein gelegentlicher Blick in die Medien reicht. Dazu bedarf es wiederum nicht einer Antwort auf die Frage, ob ein Herr Landbauer oder ein Herr Götschober selbst eines jener Liederbücher in der Hand gehabt hatte oder ob sie nur dem Duktus der Gespräche auf ihren Buden gefolgt waren. Vielmehr reicht es zu wissen, dass etwa jener Herwig Götschober Mitarbeiter von Minister Norbert Hofer ist, der wiederum einen gewissen Odin Wiesinger als Lieblingsmaler nennt, der deutsche Landser verherrlicht und schlagende Burschenschafter vor großdeutschen Karten malt. Es reicht, von diesem Leitartikel einmal umzublättern und sich die Bilder anzusehen, die jene Burschenschaft ins Netz gestellt hatte, der Götschober vorsitzt. Es reicht auch, sich irgendwann die rechtsextreme Publikation „Aula“ angesehen zu haben, das Zentralorgan der freiheitlichen Intelligenzija. Und es genügt, die Auftritte von der FPÖ nahestehenden Kapazundern wie Lothar Höbelt oder Andreas Mölzer im Fernsehen zu verfolgen. Schlussendlich reicht es auch, sich vor Augen zu führen, was die FPÖ unter Vergangenheitsbewältigung versteht: Als Panikreaktion nach der Liederbuch-Affäre wird eine Historikerkommission eingerichtet. Diese Kommission ist derart unparteiisch, dass sie von dem prominenten ehemaligen FPÖ-Politiker Wilhelm Brauneder zusammengestellt und geleitet wird. Und in der „Steuerungsgruppe“ der Kommission sitzen gleich drei „Alte Herren“ der rechtsextremen Burschenschaften Olympia und Teutonia.

Vergangene Woche besuchte mich eine amerikanische Journalistin, die für „Politico“ und „The Atlantic“ arbeitet. Sie fragte mich, warum sich der einzige wahrnehmbare Widerstand gegen die neue österreichische Regierung gegen die Raucher-Gesetzgebung richtet. Ich konnte ihr keine befriedigende Antwort geben.