Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Skandalreplik

Skandalreplik

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Wirtschaftskrise, Eurokrise, Regierungskrise, Skandalkrise. Widmen wir uns in dieser Woche dem kleinsten dieser vier den Zeitlauf beherrschenden Themen, jenem mit dem größten chronikalen Anteil und daher dem besten Unterhaltungswert, und versuchen wir eine Metaebene dazu zu finden! Die Skandale.

Printmedien im Allgemeinen und das profil ganz besonders definieren sich unter anderem über ihren hohen investigativen Anteil. Soll heißen: Kaschierte Zusammenhänge aufzudecken ist unsere Expertise und unser Geschäft – vom moralischen Skandal verlogener Verteilungspolitik über den juristischen Grenzfall der Bestechung einiger Zeitungen mit Regierungsinseraten bis zum strafrechtlich relevanten Umfeld von Buwog, Abfangjägern oder Telekom. Aus der Perspektive einer Redaktion stellt sich der Alltag daher bisweilen als eine Abfolge von kriminellen oder zumindest jeder Moral spottenden Handlungen dar; wäre es anders, hätten die Journalisten ihren Job verfehlt.

Aber entspricht diese Sichtweise einer breiter gültigen Realität, ist die Welt tatsächlich so schlecht und korrupt? Oder stecken wir Journalisten am Ende unsere Klientel an, also die Öffentlichkeit, und machen solcherart unser berufsbedingt verqueres Weltbild zu einem allgemeingültigen? Machen wir also alles schlechter, als es tatsächlich ist?
Da erschiene jetzt ein „Ja“ als die logische Antwort. Aber weit gefehlt: Ich denke nicht nur, dass die Zusammenhänge bei den Einzelfällen, um die wir uns kümmern, akkurat beschrieben und überdies generalisierbar sind – das wäre ein „Nein“. Vielmehr bin ich überzeugt, dass die Medien ein zu freundliches Bild von der Republik zeichnen, indem sie eben stets über einzelne Sachverhalte berichten müssen, somit den Eindruck vermitteln, dies sei nun eben das Böse im Lande, das da letztgültig und erschöpfend vorgeführt wird. Was die Öffentlichkeit, also zum Beispiel unsere Leser, nicht unbedingt verstehen müssen: Wir schildern bloß Einzelfälle aus einem größeren Ganzen. Regierungsinserate, Buwog, Waffenprovisionen, Telekom sind das, was im Schlaglicht einer ansonsten dunklen Landschaft auftaucht.

Und das bisweilen durch Zufall. Vor zehn Tagen textete ich in einem Blog auf profil.at: „Ein Großteil der derzeit beschriebenen Sachverhalte geht auf einen einzigen Zufallsfund zurück. Hätte es keine US-Bankenkrise gegeben, dann wäre das internationale Finanzsystem nicht aus den Fugen geraten. Wäre das Finanzsystem nicht aus den Fugen geraten, dann wäre die österreichische Constantia Privatbank nicht pleitegegangen. Wäre die Constantia nicht pleitegegangen, dann wären die Prüfer nicht auf Provisionszahlungen an Peter Hochegger und Walter Meischberger gestoßen. Und wären diese Provisionszahlungen nicht aufgetaucht, dann wäre weder der Fall Buwog bekannt geworden noch die Verwicklungen von Karl-Heinz Grasser in eine Vielzahl von dubiosen Geschichten, noch der Telekom-Skandal, noch alle anderen Causen, bei denen der Name Hochegger auftaucht.“

Wenn also ein derartiger Zufallsfund eine solche Füllevon Skandalen auslöst, dann können wir uns ungefähr ausmalen, wie das Gesamtbild der Republik aussieht.

Warum ist das so, und ist Österreich korrupter respektive anders korrupt als der Rest der Welt? Frage zwei ist leichter zu beantworten, da genügt das Studium internationaler Medien. Es gibt kein Anzeichen dafür, dass andere EU-Länder – West- wie ehemaliges Zentral- und Osteuropa – sauberer sind; bei den USA reicht der Gedanke an Bush & Cheney; von der Zweiten und Dritten Welt ganz zu schweigen.

Sind Österreichs Skandale zumindest „provinzieller“, also sollten sie uns irgendwie zusätzlich peinlich sein? Keineswegs – zumal etwa rund um das Behördenfunknetz Tetron oder bei Alfons Mensdorff-Pouilly globale Konzerne Schlange standen.

Bleibt: warum überhaupt korrupt? Ich bin überzeugt davon, dass Macht und Geld korrumpieren. Präziser: Schon um Macht und Geld zu akquirieren, ist regelmäßig eine freizügige Auslegung von Recht und Ordnung notwendig oder zumindest eine selbstbewusste Interpretation von moralischen Regeln. Wer dabei geschickt ist, schafft die Gratwanderung. Die anderen landen in den Medien und vor einem Richter – aber eben nur ein kleiner Teil von ihnen.

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