Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer So böse ist Rot-Grün

So böse ist Rot-Grün

Drucken

Schriftgröße

Nichts leichter, als sich über das Anti-Rot-Grün-Pamphlet der ÖVP lustig zu machen. Auf 61 Seiten (freilich im Westentaschenformat) hat Generalsekretär Hannes Rauch da ein Substrat der Albträume des konservativen Establishments zusammengefangen. Man höre und staune! „Eine neue Schuldenpolitik“ und „grenzenlose Zuwanderung“ würden das Land „in Chaos und Anarchie“ stürzen. Die „Ehe“ würde nicht etwa auf homosexuelle Paare ausgeweitet, sondern gleich ganz „abgeschafft“. „Unkontrollierte Sterbehilfe“ – wie viele Omas und Opas müssten ihr zum Opfer fallen? „Guantanamo-Häftlinge“ würden unter einer rot-grünen Regierung in Österreich angesiedelt, wohl um mit den letzten Flugzeugen der AUA die stolzesten Kirchtürme zum Einsturz zu bringen. Durch eine „Legalisierung von Haschisch“ (Wer verwendet noch dieses Wort?) müssten zwangsläufig die „Städte zu Drogenmagneten“ werden.

„Geheimfibel“ nennt das voll des Zynismus sogar die meist spaßfreie „Kronen Zeitung“. „Rot-Grün. Eine gefährliche Drohung“ ist ein gefundenes Spottobjekt selbst für Menschen, denen eine politische Analyse so leicht von der Hand geht wie die Übersetzung einer Euripides-Tragödie vom Griechischen ins Lateinische. Die Empfänger des Werkes, 400 Parteifunktionäre, werden ihre Mühe haben, diese Botschaften unters Volk zu bringen.

Oder doch nicht?

Aus der Perspektive der Großstadt und speziell aus der Wien-City-Richtung geht bald mal das Wissen verloren, dass der Großteil der Österreicher nicht innerhalb des Wiener Gürtels lebt, damit auch, was die anderen denken und dass sie womöglich anders denken. Also: Kann die Angstmacherei vor Rot-Grün auf fruchtbaren Boden fallen?

Taktisch vielleicht nicht, inhaltlich aber schon.

Taktisch: Es ist nicht leicht nachzuvollziehen, welche Wähler Hannes Rauch mit seiner Strategie eigentlich gewinnen oder halten will. Wenn es um den Schwarzen geht, der mit Rot kokettiert, dann ist die Warnung vor Grün zu kompliziert angetragen. Rote, die wegen einer drohenden Koalition mit den Grünen schwarz wählen würden, gibt es vermutlich nicht. Bleibt also allenfalls die kleine Gruppe von liberalen Bürgerlichen, die man vor ihrem Flirt mit potenziellen Anarchos und dann wieder vor deren Koalition mit dem Klassenfeind warnen will.

Womit wir elegant bei der Frage nach der inhaltlichen Berechtigung von Rauchs Vorstoß angelangt sind: Stichwort Ideologie, Stichwort Klassenfeind.

Was ist denn eigentlich an ideologischen Barrieren zwischen den Parteien geblieben? Eine recht haltbare Antwort: Es sind nicht die unterschiedlichen Inhalte, die trennen, vielmehr historisch und in der Familie gewachsene Befindlichkeiten. Man wählt nicht den Klassenfeind; Christlich wählt nicht sozialistisch, Sozialdemokrat wählt nicht Volkspartei. Volkspartei hat hingegen keine Antikörper gegen FPÖ, SPÖ kann genetisch mit den Grünen. Eine hochelegante ältere Wiener Dame, die in Tirol lebt, erklärte mir vergangene Woche, dass sie seit Langem grün wähle – aber rot, das könne wegen ihres Elternhauses einfach nicht sein.

Zurück zu Hannes Rauch. Wenn seine plumpe Warnung vor Rot-Grün Sinn machen soll, dann eben genau so: als eine Erinnerung an epigenetische Prägungen, als ein unüberhörbarer Hinweis auf Lager, die gefälligst feindlich zu bleiben haben. Vielleicht lässt sich die Volkspartei ja so stärken und einen.

Das erklärte dann auch gut, warum sich das ÖVP-Generalsekretariat derart lüstern auf gesellschaftspolitische Themen gestürzt hat, während die Wirtschaftspolitik unverhältnismäßig knapp und recht allgemein abgehandelt wird. Ehe, Abtreibung, Drogen, Sterbehilfe, Gesamtschule – hier verläuft die Wasserscheide zwischen rechts und links.
Schade. Denn wenn man an der Sinnhaftigkeit von Rot-Grün zweifeln soll, dann eher nicht, weil die Schwulenehe das Land Wirtschaftswachstum kosten oder die Legalisierung von Cannabis zu Massenarbeitslosigkeit führen würde. Undeutlich bleibt hingegen die Position, die Rot-Grün im ökonomischen Raster einnehmen würde: mehr Staat, weniger Staat, nur mehr Staat? Addieren sich die Positionen zweier Parteien, die dem staatlichen Wirtschaften einiges abgewinnen können, die regelmäßig an der Überlegenheit der Marktwirtschaft gegenüber politischer Lenkung zweifeln? Oder würden sich solche Ideen unter einer rot-grünen Regierung am Ende gar potenzieren? Hier liegt das Risiko, nicht bei in den Alpen marodierenden Guantanamo-Häftlingen.

[email protected]