Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Sprachloses Unglück

Sprachloses Unglück

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Wenn Sie diesen Text am Sonntag oder am Montagmorgen lesen, hat Michael Spindelegger seine „Österreich-Rede“ noch nicht gehalten; dann wissen Sie also so viel wie ich heute am Freitagnachmittag. Am Montagnachmittag oder später wissen Sie vielleicht mehr. Der Vizekanzler werde in dieser „strategisch lang geplanten“ Ansprache darlegen, „wo die Reise der ÖVP mittel- und langfristig hingeht“, kündigte Hannes Rauch im APA-Gespräch zu Ende der (dann) vergangenen Woche an. „Zukunft aus Tradition“ sei das Motto, so der Generalsekretär. Die „Kleine Zeitung“ ortete „gespanntes Warten“.
Na ja.

Ist es ein großes Risiko, wenn ich schon heute schreibe, dass diese Rede, von der ich keine Zeile kenne, eine Enttäuschung gewesen sein wird? Hannes Rauch wird am Samstag, wenn er diesen Text online gelesen hat, erklären, dass dies eine Vorverurteilung ist, vielleicht sogar eine bösartige (Was wird er zu Rainer Nikowitz sagen), typisch für Journalisten, die bar jeden Wissens – was in diesem Fall vom Autor sogar eingestanden wurde – Politiker heruntermachen, ohne sich mit der Materie oder mit sonstwas zu beschäftigen, einfach, um auf billige Art zu Zeilen zu kommen, am besten zu schlagenden. Stimmt. Dennoch gehe ich davon aus, Recht zu behalten. Drei Gründe dafür.

Erstens: Michael Spindelegger ist kein sonderlich guter Redner. Dafür kann er nichts, und daran lässt sich so schnell wenig ändern. Dieses Manko an rhetorischer Begabung und Schulung, das Fehlen von Ton- und Lautstärkenmodulation, von adäquater Körpersprache, die gemeinsam einen schall- und in der Folge gefühlstoten Raum erzeugen, dieses Manko ist allerdings das kleinste Problem. Mario Monti und François Hollande kommen mit ähnlichem Gehabe gut durch, Angela Merkel scheint ihre Kunstfaser-Ästhetik gar zu kultivieren (wobei die drei nach Berlusconi, Sarkozy respektive Schröder auch als Gegenschlag der formalen Durchschnittlichkeit interpretiert werden können).

Schwerer wiegt zweitens: Aus Motiven, die schleierhaft bleiben, verzichten österreichische Politiker auf das Engagement von Schreibern, die der deutschen Sprache mächtig sind, mit ihren Worten mehr und auch weniger gute Ideen zur Blüte bringen können. Abseits einiger brillanter Redner wie Michael Häupl und Erwin Pröll führt das meist ins Mittelmaß und bisweilen ins Desaster, regelmäßig zu gähnenproduzierender Leere, in eine Beleidigung und Vergewaltigung der deutschen Sprache und der Zuhörer.

Warum verpflichten Politiker millionenteure Berater, nicht aber professionelle Formulierer? Möglicherweise fürchten die Mitarbeiter in den Kabinetten ihre Entmachtung, legen zeitlich und handwerklich überfordert lieber selber Hand an, statt für diese Arbeit Schriftsteller oder Publizisten, einen Robert Menasse, einen Christian Ortner oder einen Christian Seiler zu engagieren. Vielleicht sind es die Politiker selbst, die um die Authentizität ihrer Ideen bangen, um die persönliche Konnotation der Formulierungen fürchten. Welche Ideen, welche Konnotationen? Einen Barack Obama und sein Team plagen derartige Sorgen jedenfalls nicht.

Drittens, wichtiger, die Form folgt der Funktion. Spindel­egger wird auf konkrete Visionen verzichten. Soll heißen: Er wird es verabsäumen, langfristige Ziele so zu formulieren, dass sie nicht schon im Schachtelsatz ersticken, weil sie in Wahrheit nichts als Schachtelsätze sind; und er wird diese solcherart ohnehin fehlenden großen Ziele nicht so weit konkretisieren, dass der Weg dorthin und eine manifeste Ausformung erkennbar würden.

Warum? Weil diese Ziele von jenem und anderen Politikern niemals gedacht wurden, sei es aufgrund fehlender Geduld, sei es wegen fehlender intellektueller Bereitschaft. Falls sie aber gedacht wurden, wurden sie mutlos augenblicklich wieder verworfen. Einer von Spindeleggers Vorgängern replizierte auf das Lob einer von ihm gehaltenen Rede nachdenklich. Das Problem, so Josef Pröll zum Autor dieser Zeilen, sei gewesen, dass er fortan am Verwirklichungsgrad der von ihm vorgetragenen Vi­sionen gemessen wurde. Schlechte Nachrede für eine gute Rede.

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