Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Stattdessen: weiterwursteln

Stattdessen: weiterwursteln

Drucken

Schriftgröße

Prinzipielle Überlegungen zu den großen Themen des Landes und der Welt sind nicht die Sache unserer Politiker. Es brauchte ja nicht gleich das visionsgetragene Charisma eines Barack Obama, der noch dazu einiges umzusetzen vermag. Aber ein paar übergeordnete Ideen von den übergeordneten Instanzen würden schon helfen – bei dem Versuch, Vertrauen herzustellen oder zumindest Neugier. Selbst eine Angela Merkel, das Trockenste, was deutsche Lande je hervorgebracht haben, sprüht im Vergleich mit den unsrigen vor wortgewaltiger Kreativität, und das gepaart mit einer Machtfülle, die Deutschland seit 1945 nicht hatte.

Die unsrigen: Wir hatten stets befürchtet, man würde sich eines Tages nach den Verbaleskapaden des Alfred Gusenbauer sehnen, und das ist nun eingetreten. Werner Faymann lebt von der Hand in den Mund und nährt das ihm anvertraute Land in entsprechender Weise. Da macht dann eben ein Pöstchen hier und ein Ämtchen da satt, aber für den Hunger des Volkes nach Wegweisung in die eine oder andere Richtung ist kein Futter da. Josef Pröll macht es weit besser. Freilich ließ seine Tätigkeit als Finanzminister und somit als Troubleshooter in der Krise keinen Spielraum – weder ihm, um sich den Dingen zu widmen, die er als Leiter der ÖVP-Perspektivengruppe nassforsch vorangetrieben hatte, noch uns, um zu beurteilen, ob er den Geist des Zuhörens, Zulassens und Kanalisierens in die politische Realwelt mitgenommen hat.

Bleibt der Bundespräsident. Über ihn schrieb Hans Rauscher unlängst im „Standard“: „In dieser Situation läge es an Heinz Fischer, die Agenda zu setzen und mit ein paar Gedanken zur Zukunft Österreichs und seiner Rolle dabei aufhorchen zu lassen. Vielleicht kommt’s ja noch.“ Ja, vielleicht in der zweiten Amtszeit.

Welches sind die Themen, bei denen wir ein Recht auf Wissen um die Meinung unserer Politiker hätten? Vor allem die folgenden.

Das dritte Lager. Seit 1945, also seit 65 Jahren, kämpft Österreich unentschlossen mit der Vergangenheit, die sich in den kurzen sieben Jahren davor abgespielt hatte. Das lastet nicht nur bleischwer auf der Seele dieses Landes, sondern behindert auch die Realpolitik. Die aktuelle Wahl zum Bundespräsidenten beweist das einmal mehr: Eine von nur zwei ernst zu nehmenden Kandidaten ist eine Rechtsextreme. Nicht genug findet eine von zwei Regierungsparteien keine offizielle Haltung zu dieser Schande beziehungsweise dagegen. Wie mit dem beinahe ein Drittel des Wählerpotenzials umfassenden dritten Lager umgehen? Keine Antwort.

Damit verbindet sich die Frage des Wahlrechts.
Wird das üble Experiment einer Koalition mit dem Rechtsextremismus zwischen 2000 und 2006 nicht wiederholt, ist Österreich auf unabsehbare Zeit zu einer Koalition zwischen Sozialdemokraten und Volkspartei verdammt. Ein Mehrheitswahlrecht wäre ein Ausweg, allerdings auch eine Art Verzweiflungstat. Aber keine Diskussion, keine Ant­worten.

Eng verwoben mit der Stärke der Freiheitlichen ist auch die Zuwanderungspolitik. Das Problem: Es gibt keine Zuwanderungspolitik. Weder SPÖ noch ÖVP geben zu erkennen, wie ein Generalplan ausschauen könnte. Statt dessen wird bloß an Einzelfällen – Arigona – oder an Gesetzen zur Beherrschung der Lage herumgemurkst. Soll die Bevölkerungszahl auf dem derzeitigen Stand bleiben? Soll es Ausbildungs- oder humanitäre Kriterien für den Zuzug geben? Keine Antworten.

Um Zuwanderungspolitik zu definieren, wäre es wiederum sinnvoll, die Position Österreichs in der Welt und im Besonderen in Europa exakt zu vermessen. Das scheitert jedoch daran, dass diese Position je nach Kleininteressenlage immer neu gefunden werden muss. Außenpolitik an der „Kronen Zeitung“ oder an ephemeren Umfragen festzumachen ist ein Armutszeugnis. Gerade hier könnten sich die großen Linien der österreichischen Wertetabelle kreuzen. Stattdessen beruft sich das Land auf eine verlogene Neutralität und begnügt sich mit dem kleinen Stolz auf friedenserhaltende UN-Missionen, …

… was wiederum damit zusammenhängt, dass die Republik keine Entscheidung über Sinn, Aufgaben und in der Folge Organisation seiner Streitkräfte treffen will. Bloß Katastrophenschutz oder doch effektive Landesverteidigung oder gar Kampftruppen im internationalen Einsatz? Miliz- oder Berufsheer oder gar keine Soldaten? Keine Diskussion, keine Antworten, bloß kein Geld für das Heer.

Zumal das Geld ja knapp ist. Letztes Thema: Budget und damit eine Definition der öffentlichen Aufgaben. Bis auf die Maastricht-Kriterien und das Credo, die Nettoneuverschuldung müsse in gesundem Verhältnis zum Wirtschaftswachstum stehen, hat sich die Republik zu keiner Zukunftssicht durchgerungen. Weder wird an einem Konsens über Verteilungsgerechtigkeit gearbeitet noch über alternative Steuersysteme gesprochen noch über die Frage, ob öffentliches Geld massiv in Ausbildung oder Forschung oder ökologische Projekte umgeschichtet werden könnte, weg von so unglaublich sinnvollen Dingen wie verpuffenden Abwrackprämien, zweckentfremdeter Wohnbau- und geburtenminimierender Familienförderung. Diskussion und Antworten: null. Stattdessen: weiterwursteln.

[email protected]