Christian Rainer: Strache, Trump und die Glutenunverträglichkeit

Die Welt ist instabil, alles geht den Bach runter. Oder?

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Wer in diesen Tagen Kommentare zur österreichischen Bundesregierung hört, kann zu einem realitätsfernen Schluss kommen: Das Grundrauschen des politischen Smalltalks verheißt ein nahendes Ende der Koalition. Die SPÖ verstärkt und verbreitet diese Nichtnachrichten, webt gar ein, dass schon bald ein fliegender Wechsel folgen könnte und man in trauter Zweisamkeit mit Sebastian Kurz auf der Regierungsbank sitzen werde. Ob da nur ein Spin gewuzelt wird oder die Desinformation zur Gewissheit geraten ist, sei dahingestellt.

Wo liegt der Wahrheitsgehalt dieser Gerüchte? Er liegt im Nirgendwo. Zwar ist die FPÖ bereits 100 Tage nach Angelobung in ein Gewusel aus rechtsextremer Vergangenheit und dilettantischer Gegenwart geraten, zwar wird die interne Kritik an Heinz-Christian Strache lauter. Aber von einer Regierungskrise ist dieses Land so weit weg wie von einer absoluten Mehrheit der Sozialdemokraten.

Wenn schon nicht Österreich: Wie instabil ist die Welt insgesamt, wie gefährlich und wie gefährdet? Droht ein Atomkrieg, steht der Verfall und Zerfall Europas bevor, wird sich die chinesische Diktatur als Standardmodell durchsetzen, wird die Menschheit an der anscheinend epidemischen Glutenunverträglichkeit zugrunde gehen?

Der Unsicherheitsfaktor in allen Überlegungen (abseits von Gluten) ist Donald Trump. Stünde statt seiner Hillary Clinton an der Spitze der demokratischen Welt, würden wir uns diese Gedanken nicht machen. So aber müssen wir uns wundern, dass im ersten Viertel seiner Amtszeit nichts passiert ist, das die Welt aus den Angeln hob. Trump hat bis dato nicht einmal die Finanzierung für seine Mauer zu Mexiko beisammen (und vielleicht wird er in naher Zukunft mit Kim Jong-un in Teheran Golf spielen). Die Stabilität der amerikanischen Verfassung ist beinahe so erstaunlich wie die Tatsache, dass Trump überhaupt Präsident werden konnte, dass er eine um die andere private wie politische Affäre übersteht. Das Risiko, das Trump darstellt, bleibt dennoch gewaltig. Die Leichtigkeit, mit der einer wie er ins Weiße Haus gespült werden kann, rüttelt am Vertrauen in die Überlebensfähigkeit demokratischer Systeme.

Das Bild, das sich uns derzeit bietet, gibt keinen Anlass, darauf zu vertrauen, dass die Welt in jener Form erhalten bleibt, wie wir sie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges kennen.

Wer gebannt auf Washington blickt und die Amerikaner niederer Gesinnungen zeiht, der vergisst, dass Europa eben erst an einer in den Ursachen ähnlichen, in den Auswirkungen größeren Katastrophe vorbeigeschrammt ist: Vor nur einem Jahr stand die Möglichkeit im Raum, dass Marine Le Pen französische Präsidentin würde. Vielleicht hat nur der scheinbar aus dem Nichts aufgetauchte Emmanuel Macron – ein Glückstreffer, beileibe kein Produkt politischer Kontinuität – Le Pen verhindert. Ihre Wahl wäre zum Fanal der Europäischen Union geworden, wäre der Dammbruch gewesen, der radikale, gegenüber westlichen Grundwerten skeptische Politiker über den Kontinent und nach oben geschwemmt hätte. Le Pens Niederlage ist also kein Triumph der Demokratie, sondern ein Hinweis darauf, wie gefährdet das System ist (vergleichbar mit Österreich, wo die knappe Wahl von Alexander Van der Bellen zum Bundespräsidenten alles andere als ein Vertrauensvorschuss auf weitere 70 Jahre Demokratie war).

Oder Italien, wo Trumps Ebenbild Berlusconi im Kuriositätenkabinett (und bei den Frauen) von den Scheintoten wiederauferstanden ist. Oder die ehemaligen Trabanten der Sowjetunion, die zwischen allgegenwärtiger Korruption, katholischem Absolutismus, ungarischer Oppression und slowakischem Journalistenmord irrlichtern, Staaten, die Jahrzehnte vom westlichen Selbstverständnis entfernt sind. Oder Russland, das seinen Diktator in diesen Tagen per Akklamation bestätigt. China schließlich: Die mächtigste Wirtschaftsnation der Erde hat jetzt auch ihren auf Lebenszeit bestellten Führer. Der kontrolliert, lenkt, bestraft, belohnt seine 1,4 Milliarden Bürger nun mit unfassbarer allumfassender digitaler Überwachung.

Ist die Welt also stabil oder geht alles den Bach hinunter? Das Bild, das sich uns derzeit bietet, gibt keinen Anlass, darauf zu vertrauen, dass die Welt in jener Form erhalten bleibt, wie wir sie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges kennen.

[email protected] Twitter: @chr_rai