Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer: Und was sagt der Islam?

Und was sagt der Islam?

Drucken

Schriftgröße

Das „sti“ sei wichtig. Es sei kein „islamischer Terrorismus“, der die Menschheit seit Jahrzehnten quält und seit dem 11. September 2001 in Atem hält. Vielmehr handle es sich um „islamistischen Terror“. Das habe zu beachten, wer sich überhaupt daran heranwage, eine Meinung zum drängendsten Sicherheitsproblem der Welt zu äußern. So tönt es aus muslimischen Kreisen, im Sprachduktus bisweilen einschmeichelnd, bisweilen recht barsch, in der Sache jedoch stets unnachgiebig. Aber so tönt es nicht nur von dort: Auch die offiziellen und die selbst ernannten Beschwichtiger, die Versteher, die Vermittler weisen darauf hin, dass hier ein Unterschied zu beachten und im Umgang mit dem Islam Vorsicht geboten sei, dass ein Zuwiderhandeln eine ganze Weltreligion unter Generalverdacht stelle.

Mit Verlaub, diese Diskussion ist für die Würste.

Erstens: Produzierte etwa der „deutsche Terrorismus“ der 1970er-Jahre einen Generalverdacht? Mussten ein bayerisches Bäuerlein, ein Nordseefischer fürchten, als RAF-Sympathisanten weggesperrt zu werden?

Zweitens: Eine Weltreligion wird sich schon selbst verteidigen können. Der Islam im Speziellen versteht das ganz gut. Die Rollen sind verteilt. Die meisten Opfer der muslimischen Täter sind ja selbst Muslime. Muslimische Asylanten in Österreich sind Leidtragende, aber die vergangene Woche festgenommenen mutmaßlichen Dschihadisten waren auch Asylanten. Und gehört die Dynastie der Saud nun zu den Guten oder den Bösen? Sicher nicht zu den Guten, aber auch nicht zu den Terroristen. Drittens: Zwischen „islamisch“ und „islamistisch“ kann keine Grenze gezogen werden. Das eine bedeutet „auf die Religion bezogen“. Das andere bezeichnet eine politische Ideologie, die einen Staat auf Basis des Koran errichten will. Aber ein strenggläubiger Ostanatolier ist noch lange kein Gotteskrieger, und der Selbstmordattentäter aus Gaza will keinen Gottesstaat.

Warum dieser Exkurs in die Semantik? Weil er zeigt, wie das Thema behandelt wird: mit Haarspaltereien, mit zu viel Differenzierung, mit überbordender Rücksichtnahme. Was in diesen Tagen wirklich fehlt, ist die Stimme von Muslimen, die sich lautstark von jedem Terroristen distanzieren, der sich auf den Koran beruft. Wo sind denn die Religionsverbände im Westen und wo jene in mehrheitlich muslimischen Ländern, die ihren Glaubensbrüdern (und vielleicht sogar Glaubensschwestern) täglich eintrichtern, dass all dies nichts mit den Lehren des Propheten zu tun hat, ja diesen Lehren vielleicht sogar zuwiderläuft? Wo ist der Aufruf der entsprechenden Staatschefs, Monarchen, der religiösen Führer? Fehlt, wie so oft in der Vergangenheit.

Was wir hier in Europa zu hören bekommen, sind ohnehin nur die für den Westen mundgerecht gemachten Formulierungen. Die Medien und die öffentliche Meinung in arabischen Ländern sehen anders aus. Man erinnere sich an die legendäre Deklaration sunnitischer und schiitischer Gelehrter im Jahr 2006, die Selbstmordanschläge auf heilige Stätten des Islam zur Sünde erklärte! Das musste für jeden Gläubigen einer Aufforderung gleichkommen, die nächstgelegene amerikanische Botschaft in die Luft zu jagen. Ungestraft oder sogar mit Belohnung. Diese Deklaration wurde bis heute nicht ergänzt oder revidiert.

Aber auch die Haltung der Muslime hier und in der Nachbarschaft lässt zu wünschen übrig. Eine Erhebung des deutschen Bundesinnenministeriums im Jahr 2007 ergab, dass 90 Prozent der Befragten „Selbstmordattentate und Terror zur Verteidigung des Islam“ für nicht gerechtfertigt halten. Dieses Ergebnis wurde damals als nachgerade vorbildlich gefeiert. Doch was soll das denn heißen? Dass zehn Prozent aller deutschen Muslime es cool finden, wenn sich ein irakischer Schizo am Berliner Alexanderplatz in die Luft jagt, weil er die Waffenlieferungen zur Unterstützung der ungläubigen Jesiden als eine Schmähung Mohammeds empfindet? Das heißt es nicht. Aber fast.

Was läuft schief? Generell ist es nicht hilfreich, wenn Auseinandersetzungen im Namen einer Religion geführt werden. Das Christentum scheint in zwei Jahrtausenden Zivilisierung allerdings ein Stückchen weiter gekommen zu sein (wenn auch erst kürzlich). Die Muslime mehrheitlich noch nicht.

Das Verhältnis von Religion und Staat bleibt selbst in ­Ländern wie der Türkei ungeklärt. Damit wird ein Bekenntnis zum demokratischen Rechtsstaat unglaubwürdig. Die meisten der muslimisch dominierten Staaten lehnen demokratische Verhältnisse, Menschenrechte, ein modernes Strafrecht, die Gleichberechtigung von Mann und Frau freilich ganz offen ab. Sie werden von Diktatoren oder korrupten Familien
beherrscht. Einige dieser Länder – vor allem Saudi-Arabien – finanzieren weltweit muslimische Institutionen. Das dürfte nicht unbedingt zur Verbreitung einer zivilisierten Ausprägung des Glaubens beitragen.
Wundert es da, dass die Haltung zum bewaffneten Kampf und zum Terror im Namen des Islam so uneinheitlich ist, der Protest jener, die diesen Glauben teilen, bis zur Unhörbarkeit leise?

[email protected]