Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Unrecht muss Recht bleiben

Unrecht muss Recht bleiben

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Die größte Enttäuschung bot Heinz Fischer. Er, der noch zu Weihnachten den Wunsch deponiert hatte, es solle „möglich sein, die Entscheidungen so zu treffen, dass diese junge Frau nicht des Landes verwiesen wird“, erklärt nun lakonisch: „Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofs sind zu respektieren.“ Ist das derselbe Bundespräsident, der vor seiner Wiederwahl versprochen hatte, er werde sein Amt in der zweiten Amtszeit „aktiver“ gestalten als in der ersten? Aktive Passivität als Aktivposten. So haben wir uns das vorgestellt.

Selbst die „Kronen Zeitung“ urteilt abfällig: „Das Verhalten der Spitzenpolitiker im Fall Zogaj vom Bundespräsidenten abwärts ist von erbärmlicher Feigheit.“ Fremdenliebe, von der „Krone“ neu entdeckt? Nein. Feindbild Fischer, der keinen Platz für „Krone“-Günstling Erwin Pröll machen wollte. Und wohl auch die Vermutung, dass drei Millionen Leser so etwas wie Mitleid für die Zogajs empfinden könnten. Banale Berechnung, aber berechtigt.

Die Zogajs werden also „unverzüglich“ abgeschoben, so haben es Gerichte und Behörden letztgültig entschieden. Niemand wagt die Diskussion darüber, was zu tun ist, damit sich ein derartiges Drama nicht wiederholt. Stattdessen Schlawinertum, um für den Einzelfall zurechtzubiegen, was kaputt gemacht wurde. Eine Passivkonstruktion.

Was also hätten Heinz Fischer und jeder andere Politiker vorschlagen können, um wenigstens der Zukunft gerecht zu werden, wenn schon die Gegenwart vom Rechtsstaat übervorteilt werden musste?

Der Herr Bundespräsident ist Verfassungsjurist. Der Bundeskanzler hat auf Kosten der Steuerzahler vier Semester Rechtswissenschaft studiert. Den Vizekanzler hielt man als Leiter der ÖVP-Perspektivengruppe für einen liberalen Fronttriebler, der seine Partei gesellschaftspolitisch neu positionieren wolle. Über die Innenministerin heißt es bei ihren christlich-sozialen Genossen, sie leide unter ihrer Rolle als Exekutorin des Bösen gar ein wenig.

Wenn man will, ist es doch sehr einfach. Man schreibe erstens ein Gesetz, das dem Bundespräsidenten, den Landeshauptleuten, dem Ersten (nicht dem Dritten) Parlamentspräsidenten Entscheidungskompetenzen für den Einzelfall in humanitären Materien gibt. Das heißt üblicherweise Gnadenrecht, sollte aber nicht so heißen. Denn es darf keine Gnade sein, wenn jemand dort sein Recht bekommt, wo ein Gesetz Unrecht schafft, weil es auf die Wechselfälle des Lebens nicht Rücksicht nehmen will. Also nicht Gnade vor Recht, sondern ein Recht auf Gnade.

Zweitens braucht es im Fremdenrecht eine Amnestie, die nicht Amnestie heißen darf. Vielmehr geht es darum wiedergutzumachen, was an Schicksalen von Menschen durch überlange Verfahren und unklare Rechts­verhältnisse verpfuscht wurde. Ein paar tausend ­Zuwanderer zusätzlich kann sich die Republik ­leisten.

Drittens: Das Fremdenrecht muss über eins und zwei ­hinaus geändert werden. Konkret: Die Kriterien für den legalen Aufenthalt und die Einbürgerung in Österreich sind menschenverachtend, unzulänglich, falsch. Ganz im Sinne von Maria Fekter, die hier ungewollt das Argumentarium lieferte: „Rehlein-Augen“, wie die Innenministerin kaltschnäuzig der damals knapp 17-jährigen Arigona attestierte, dürfen tatsächlich keine Basis für ein Bleiberecht sein. Vielmehr sind die Parameter zu erweitern. Es steht einem reichen Industriestaat nicht an, neben dem Sonderfall Asyl bloß Nützlichkeits- und Wohlverhaltenskriterien vorzuschreiben wie Ausbildung, Sprache, Integration. Diese gehören nämlich zum Lebenslauf und nicht zum Überlebenslauf.

Wie wäre es mit ein paar Menschlichkeitskriterien? Armutsindex im Herkunftsland, Familienverhältnisse, individuelles Schicksal. Richtig, das läuft dann schnell auf das Gegenteil der geltenden Bestimmungen hinaus: also Analphabetismus statt Ausbildung, zerrüttete Familie statt trautes Heim. Diese Mitmenschlichkeit muss sich Österreich schon aus Gewissenshygiene leisten.

Vor ein paar Jahren schrieb ich einen Leitartikel unter dem Titel „Wenn Arigona ein Nigerianer wäre“. Demnach sollte man dem schwarzafrikanischen Hungerleider Vorrang vor der Kosovarin geben. Stimmt noch immer, aber Platz muss für beide sein.

Träumereien natürlich, die offensichtlich nicht einmal beim Bundespräsidenten Anklang finden. Denn was tut die österreichische Politik? Sie empfiehlt den österreichischen Weg. Die Familie Zogaj möge das Land geschnäuzt und gekampelt verlassen, um dann unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zurückzukehren. Die Mutter als „Saisonarbeiterin“, eine Definition von Beschäftigungsverhältnis, die nicht einmal ohne deren Depression zu Frau Zogaj passte. Die Tochter durch „Eheschließung“ (so Fekter), was unter Scheinehe fiele, da die Ehe nur zur Erwirkung eines Aufenthaltstitels dienen würde.
Verlogener geht’s wohl nicht.

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