Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Very Innocent People

Very Innocent People

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Anfütterung und Telekom, zwischen diesen beiden Polen oszilliert aktuell die öffentliche Diskussion über Recht und Unrecht in Österreich. Präziser: Die Diskussion ballt sich rund um die Frage, welcher Idiot denn die gottverdammten Regeln über Einladungen und Geschenkannahme erfunden hat, während eine Meinungsbildung zu den langjährigen Haftstrafen für drei ehemalige Telekommanager eher langsam voranschreitet.
Wir schreiben das Jahr 2013, 6000 Jahre nach der Erfindung des Rades und vier Jahrhunderte, nachdem erstmals elektrischer Strom erzeugt wurde. Österreich schickt sich an, Recht von Unrecht zu unterscheiden. Das Land entdeckt sein Gewissen.

Und tut sich dabei schwer, wie an den genannten Beispielen schnell zu erkennen ist.

Tatsächlich nimmt es einerseits wunder, dass jene Urteile des Telekom-Richters eben jenes Land nicht erbeben lassen. Schwarz auf weiß ist nun Folgendes protokolliert, nicht rechtskräftig, aber durch das Geständnis eines der Angeklagten doch mit tief untergrabener Unschuldsvermutung: Das ehemalige Top-Management eines der größten, ältesten und wichtigsten österreichischen Unternehmen wird für ein Verbrechen verurteilt. Dieses Unternehmen stand und steht im Einfluss der Republik; was dort passiert, lag und liegt also in der Verantwortung der Bundesregierung. Der ehemalige Generaldirektor wird freigesprochen; dass er die nun manifeste Kursmanipulation, die stets für jedermann mit freiem Auge erkennbar war, immer in Abrede gestellt hatte, kümmert niemanden. Dass der Telekom-Hauptaktionär ÖIAG und somit der Finanzminister dem nun verurteilten Vorstand unerschüttert das Vertrauen ausgesprochen hatte, ist auch kein Thema. Dass der gesamte Aufsichtsrat über die offenkundigen Un­regelmäßigkeiten hinweggeblickt hat, wird nicht hinterfragt.

Hier wurde also ein Netzwerk aus höchstmöglicher Wirtschafts- und Politikerelite durch ein Gerichtsurteil bloßgestellt. Ohne das Zusammenwirken dieser Personen im Sinne von aktivem Handeln und ebenso aktivem Wegschauen wären die Straftaten erstens nicht möglich gewesen und zweitens nicht über neun Jahre ungesühnt geblieben. Dass es überhaupt zu einem Prozess kam, ist ausschließlich der Arbeit von unnachgiebigen Journalisten und einer grünen Abgeordneten zu verdanken – die staatliche Kontrollinstanz FMA hatte der Telekom bereits einen Persilschein erteilt.

Zusammengefasst: Wir sprechen von einer Zusammenrottung an der Staatsspitze zu Beginn dieses Jahrtausends mit teils verbrecherischem, teils unredlichem Hintergrund. Dass sich die Öffentlichkeit dafür enden wollend interessiert, spricht nicht zwingend für ein gut kalibriertes Rechtsbewusstsein im Lande.

Zumal andererseits: Ein Hauptthema an den Trögen von Geld und Macht sind derzeit die neuen Regeln über Geschenke und Einladungen. Sie wurden bekanntlich erlassen und dann auch noch verschärft, um Unterschleif zu verhindern – der Gesetzgeber machte aus unmoralischen Gepflogenheiten einen Tatbestand der Kleinkriminalität. Ein schwieriges Unterfangen. Richtig ist daher, dass die Grenzziehung vage blieb, die Bestimmungen sind unklar, vielfach unanwendbar und überzogen. Was herauskam, ist ein tiefer Eingriff in das Privatleben vieler Menschen auch abseits der Eliten, oftmals fern der Zielsetzung, Bestechung und Bestechlichkeit zu verhindern.

Die Unsicherheit und der Zorn sind also verständlich, erst recht, weil platter Populismus den Gesetzgeber getrieben hat, nicht aber das Bemühen, saubere Verhältnisse zu schaffen.

Woran die Diskussion freilich krankt, was sie ungenießbar macht: Den Betroffenen fehlt jedes Unrechtsbewusstsein. Sie ­verleugnen alle Fälle und Grenzfälle, die bisher tatsächlich einer Geschäftsanbahnung oder der Beeinflussung von Entscheidungen qua persönlicher Vorteilsnahme dienten. Wer die ­Gespräche verfolgt, könnte meinen, das Kürzel VIP hätte in den vergangenen Jahrzehnten ausnahmslos für „Very Innocent People“ gestanden.

Einmal mehr: Das Rechtsbewusstsein der Österreicher scheint entwicklungsbedürftig.

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