Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer War’s früher besser?

War’s früher besser?

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Bei einer Veranstaltung der Raiffeisenbank Region Eisenwurzen am Donnerstag der vergangenen Woche (gut 400 Besucher; fantastisch, was abseits von Wien möglich ist) tauchte diese Frage auf: War früher alles oder zumindest einiges besser? Konkret: War Österreich vor zehn oder 20 Jahren so korrupt, wie es sich in diesen Wochen darstellt? Waren die Politiker ähnlich hilflos, wie sie es im Angesicht der europäischen Schuldenkrise sind? Hier der Versuch, ein paar Antworten zu finden.

Generell: Verklärung findet statt. Es genügt, alte Zeitungen zur Hand zu nehmen. Da zeigt sich einerseits, dass die Medien früher sicher nicht besser waren als heute, sondern meist hölzern in Text und Visualisierung sowie devot im Inhalt gegenüber den Mächtigen. Andererseits reicht es, mit diesen Zeitungen ein paar Jahrzehnte zurückzugehen, und es ergibt sich ein Bild, das nichts mit dem Jahr 2011 zu tun hat. Ins Auge springt da vor allem ein autoritäres, von Hierarchien geprägtes Gesellschaftsmodell in allen Bereichen des Lebens: Eltern – Kinder, Mann – Frau, Lehrer – Schüler, Beamte – Bürger, Vorgesetzter – Mitarbeiter, Klerus – Gläubige und so weiter.

Diese Verhältnisse als besser gegenüber dem Status quo zu bezeichnen, zeugte von einem einigermaßen überkommenen Weltverständnis. Dem Befund entsprechend wird die Sehnsucht nach jener Welt als Phänomen einer früheren Generation bald verschwinden.

Dass diese Welt starr strukturiert war und, eingezwängt in solch enge Bedingungen, lust- wie lebensfeindlich, ist die eine Sache. Aber war sie professionell geführt, waren Politiker damals also „weniger hilflos“ als heute?

Drei grundsätzliche Unterschiede. Eins: Unter dem Eindruck der von Österreich mitverschuldeten Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und des oft gemeinsamen Schicksals in dieser Periode konnten übergeordnete Visionen, Ziele und Ideen breiter Platz greifen. Mangels dieser Erfahrungen greift im Jahr 2011 offensichtlich gar nichts Platz (auch außerhalb Österreichs nicht).

Zwei: Abseits großer Koalitionen, in Jahren der Alleinregierung oder mit kleinem Partner, ließ sich schneller entscheiden, nicht zwingend besser, aber immerhin ohne den Anschein, dass „nichts weitergeht“.
Drei: Die aktuelle Finanzkrise ruft nach fachlichen Anforderungen und einer komplexen internationalen Koordination, die vielleicht über alles hinausgehen, was in der jüngeren Vergangenheit an Härtefällen angefallen ist.
Unter Beachtung dieser geänderten Voraussetzungen: Ist das Personal heute also wirklich schlechter als das unserer Väter (und Mütter)? Oder provokanter: War Kreisky wirklich ein besserer Politmanager als Faymann, de ­Gaulle besser als Sarkozy, Brandt als Merkel, Kennedy als ­Obama? Da ist man ob des (so tradierten) Charismas der Altvorderen schnell bei einem „selbstverständlich“. Ich persönlich würde aber zur Vorsicht bei der Antwort raten: wegen der angeführten Rahmenbedingungen; und einmal mehr wegen der möglichen Verklärung.

Bleibt schließlich die Frage nach der Korruption: Ist Österreich heute korrupter, als es vor zehn oder 20 Jahren war?

Vor drei Wochen schrieb ich an dieser Stelle, profil werfe mit den aufgedeckten Skandalen nur „Schlaglichter“, wir könnten „bloß Einzelfälle aus einem größeren Ganzen schildern“. Hinter diese Meinung will ich jetzt nicht zurücktreten. „Der Spiegel“ hat inzwischen einen Text über Österreich veröffentlicht, in dem die Republik als schwer verlottert dargestellt wird, gemessen an ihrer kriminellen Energie in einem Atemzug mit Italien zu nennen. Wird schon so sein, dass auch die deutschen Kollegen Recht haben, zumal die Story ohnehin nur eine Zusammenfassung unserer eigenen Geschichten ist. (Wo der „Spiegel“ wohl überzeichnet: So stark unterscheidet sich Österreich von anderen Staaten auch wieder nicht.)
Also: Heute mehr Korruption als früher? Ich denke, ja. Da scheint dann doch eine Veränderung stattgefunden zu haben.

Die Erklärung dafür? Hier ein Versuch: Möglicherweise hat der Fall des Eisernen Vorhangs zu einem Import von Gepflogenheiten geführt, die im Jahr 1990 im Westen ziemlich „wegzivilisiert“ waren. Die größere Zahl von Geschäftsfällen – Investitionen, Handel – im ehemaligen Zentral- und Osteuropa (aber auch im arabischen Raum und in Fernost) könnte zu einer Ansteckung geführt haben. Frei nach dem Motto, man könne doch „dort“ ohne geldschweren „Lobbyismus“, also ohne Bestechung, gar nichts ausrichten.

Wenn das so stimmt, wenn diese Erklärung richtig ist, dann würden die lange, ehemals geschlossene Grenze und die ökonomischen Erfolge im Osten auch dafür sprechen, dass Österreich nun relativ korrupter ist als andere westliche Staaten. Dann war’s früher zwar nicht besser, aber immerhin sauberer als heute.

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