Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer „Was wir aufgebaut haben …“

„Was wir aufgebaut haben …“

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„Heinz Fischer gegen ungeregelte Zuwanderung: Aus Fehlern lernen“, so der Titel der „Kronen Zeitung“ – Seite 3 – am Mittwoch dieser Woche. War da ein gewisser Triumph des unter dem Kürzel „c.h.“ firmierenden Autors zu spüren? Sollte diese Wortwahl am Ende darauf hinweisen, das vom Kleinformat ungeliebte Staatsoberhaupt habe nun selber aus seinen Fehlern gelernt und sei bereit, auf die Linie der „Krone“ einzuschwenken?
Sollte sie wohl.

Freilich hatte Heinz Fischer in seiner Rede zum Staatsfeiertag das Gegenteil von dem gesagt, was ihm da per Balkenlettern in den Mund gelegt wurde. Er hatte nämlich vorgeschlagen, gut integrierten Ausländern „ein Bleiberecht zu geben“, und damit nicht weniger gefordert, als für alle „Härtefälle“ eine Amnestie zu gewähren. So seien Fehler der Vergangenheit auszumerzen. Und für die Zukunft, ja für die Zukunft solle man die Zuwanderung „nach klaren Regeln“ organisieren.

Welche Regeln? Wenn es nach einem guten Teil der Österreicher geht, dann würde Regel Nummer eins lauten: Jeder Zuwanderer muss eine Einmalzahlung an die Kasse der Republik überweisen, bevor er überhaupt anfangen darf, wiederkehrende Beiträge in Form von Steuern und Abgaben an eben diese Kasse zu leisten. (Allenfalls wäre da noch ein Kredit an Ausländer zu erwägen, den die sodann nur mehr halben Ausländer über die Jahre abstottern könnten.) Das häufigste Argument all jener, die überhaupt bereit sind, sich einer Art inhaltlicher Auseinandersetzung über Immigration zu stellen, lautet nämlich: „WIR Österreicher haben das alles hier aufgebaut, warum also sollten wir es jetzt mit den Neuzugängen teilen?“ Wenn das stimmt, dann hat es Folgen.

Wer so argumentiert, muss zum Beispiel diese Überlegung akzeptieren: Bei dem gemeinsam „Aufgebauten“ kann es sich nicht um Privateigentum wie Häuser oder Autos handeln, denn darauf erheben die Immigranten keinen Anspruch. Vermutlich geht es auch nicht um Berge, Seen oder das Klima. Die hat Gott nicht spezifisch für die Inhaber einer österreichischen Staatsbürgerschaft erschaffen. Bleiben also Einrichtungen in öffentlichem Eigentum wie Straßen, Schulen oder die ÖBB (und deren Schulden).

Da ist dann aber zu differenzieren: Wer im Laufe seines Lebens mehr Steuern zahlt, beteiligt sich am „Aufbau“ in größerem Maße, hält daran somit einen höheren Anteil. Wer hingegen hohe Transferleistungen bezogen hat, der schuldet dem Staat und daher anderen Österreichern netto jede Menge Geld. Hinzu kommt: Familien, die schon seit vielen Generationen „hier aufbauen“, besitzen folgerichtig mehr Autobahn- und U-Bahn-Kilometer als Menschen ohne rot-weiß-roten Stammbaum.

Eine komplizierte Rechnung. Die durch diverse Wechselfälle der Geschichte nicht einfacher wird. Durch den Zweiten Weltkrieg zum Beispiel: Wessen Vorfahren irgendwie mitverantwortlich dafür waren, dass die Alliierten sich gegen die Nazis wehren und niederwalzen mussten, was später „wiederaufgebaut“ wurde, der hat unter dem Strich vielleicht gar keinen Anspruch auf „Aufgebautes“.

Und schließlich (siehe auch Hoffmann-Ostenhof): Welchen Beitrag hat ein neugeborenes Baby mit österreichischer Staatsbürgerschaft zum „Aufbau“ geleistet? Hat es sich stärker um den kollektiven Wohlstand verdient gemacht als das Kind eines türkischen Bauarbeiters, eines kosovarischen Wirtschaftsflüchtlings, ja sogar eines nigerianischen Drogendealers? Ius sanguinis oder ius soli? Abstammungs- oder Geburtsortsprinzip? Blut oder Boden?

Kinder mit unterschiedlicher Werthaltigkeit? Da landet die Allzweckwaffe unter den Anti-Ausländer-Argumenten hurtig im rassistischen Umfeld.

Und sie gibt sich als Scheinargument zu erkennen. NIEMAND von all jenen, die sich auf den „gemeinsamen Aufbau“ berufen, schert sich wirklich um diesen. Wer zu solchen Worthülsen greift, der ist den Migranten die Luft neidig, die sie zum Atmen brauchen; er fürchtet um das eigene Fortkommen; er hasst ganz einfach Ausländer, ihre Sprache, ihre Gebräuche. Dann soll er das aber auch gleich offen sagen, statt von einem „Aufbau“ zu faseln.

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