Christian Rainer: Was dürfen Ex-Politiker?

Christian Rainer: Was dürfen Ex-Politiker?

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Geistliche, Kranken- sowie Altenpfleger, NGO-Mitarbeiter, Politiker und – ja, auch – Journalisten. Vielleicht auch Kindergärtner und Lehrer. Gerne jeweils auch die gegenderte Form, die Mehrzahl von ihnen sind vermutlich ohnehin Frauen. Das ist eine unvollständige Aufzählung von Berufsgruppen, bei denen der Beruf in hohem Maße Berufung ist und nicht zwangsläufig das Erwirtschaften eines Einkommens zentrale Motivation des Arbeitens bildet. Vielmehr ist da viel mehr. Gestalten der Gesellschaft zum Positiven im Großen oder im Einzelfall Mensch, das ist eine mögliche Beschreibung dessen, was viele dieser Jobs vom sehr honorigen Handwerker oder Bankmitarbeiter oder Immobilienhändler unterscheidet.

Ich schränke ein, bevor Sie es tun: Viele der KrankenpflegerInnen (mein erstes Binnen-I!) wählen diese Arbeit, weil die Nachfrage die Wahl der Ausbildung steuert; viele LehrerInnen (das zweite!) beginnen mit Enthusiasmus und enden früh in Gleichgültigkeit, im Burnout oder in den Sommerferien; Society- oder Modejournalismus ist ein cooles Feld, aber selten von Gutmenschenanfällen getragen.

Sie wenden jetzt fragend ein: Aber trägt nicht Eitelkeit maßgeblich dazu bei, dass stinknormale Menschen verhaltensauffällige Persönlichkeiten wie Abgeordnete, Anchor-Women oder auch Priester werden? Meine Antwort: Aber sicher – und so what?

Ihr letzter Einwand: Es besteht doch ein gewaltiger Widerspruch zwischen der behaupteten philanthropischen Motivation und der Tatsache, dass zum Beispiel Politiker und Journalisten regelmäßig an der Talsohle jener Statistiken aufschlagen, die das Image von Berufsgruppen in der Bevölkerung abbilden. Meine Vermutung: Gerade jenes vage, oft genug ins Betuliche kippende Heilsversprechen, das die Politiker mit uns Journalisten verbindet, löst Zweifel an der Seriosität der Tätigkeit aus. Die Qualität einer Autoreparatur (okay, nicht immer), die Haltbarkeit einer Zahnkrone und die Konsistenz eines Marillenknödels lassen sich schneller beurteilen, und vor allem eindeutig.

Ihre abschließende Frage: Worauf wollen Sie überhaupt hinaus, Herr Rainer? Berechtigt.

Ich ziele auf die Causa Spindelegger und einige andere ähnlich gelagerte Fälle. Darf der ehemalige Vizekanzler der Republik im Sold eines fragwürdigen Oligarchen zur „Modernisierung der Ukraine“ beitragen? Soll sich der emeritierte Alfred Gusenbauer von Nursultan Nasarbajew füttern lassen und den kasachischen Diktator im Gegenzug als einen soliden Volksvertreter auf dem Weg zum demokratischen Superhero bezeichnen? Muss sein deutsches Pendant Gerhard Schröder wirklich das Ostsee-Pipelineprojekt im Auftrag seines Kumpels Wladimir Putin an den westlichen Mann bringen?

Eine Antwort wäre, sie ist naheliegend wie auch recht ansteckend: Wir müssen das im Einzelfall betrachten. Das ist eine gute Antwort – denn sie ist falsch, und daher können wir an dieser Antwort aufdröseln, was an den geschilderten Arbeitsverhältnissen ehemaliger Politiker, was an Spindeleggers Geschäftstätigkeit faul ist.

Es kommt eben nicht auf den Einzelfall an. Was zählt, ist allein der Anschein, den das postpolitische Verhalten vor der Öffentlichkeit erweckt: Eben noch war Herr Spindelegger der Gralshüter christlichsozialer Moral, einer, der es vermieden hätte, auch nur einem Taschendieb die Hand zu geben (nicht aus Angst, bestohlen zu werden); jetzt ist er Teil eines zweifellos zweifelhaften Bündnisses von Personen undurchsichtiger Provenienz, die – wie er selbst – ohne Zweifel abkassieren wollen. Eben noch hielt Herr Gusenbauer die Faust zum Klassenkampf erhoben; nun setzt er sie ein, um einen Staatsmann durchzuboxen, der Verteilungskampf als Schlacht zur Bereicherung der eigenen Familie definiert. Eben noch war Schröder mächtigster Vertreter westeuropäischer Werte; postwendend dient er dem, der Menschenrechte, innere Demokratie, staatliche Souveränität mit Füßen tritt.

Es reicht der Anschein, es ist der zwielichtige Schein, der solcherart auf eine Spezies Mensch geworfen wird, die sich eines besonderen Charakters rühmt, einer Grundeinstellung, die Gut von Böse trennen will, richtig von falsch: Politiker eben. Charakter kann man nicht ablegen wie ein Kleidungsstück, eine Grundeinstellung ändert sich nicht, wenn der Arbeitgeber sich ändert. Daher schließt die Öffentlichkeit, die Bürgerin, der Wähler: Wer sich nun nicht schert, mit wem und auf was er sich einlässt, um nur ja schnell Geld zu verdienen, der hatte zuvor auch weniger Bedenken als vorgegeben; wer nun über einen allenfalls durchschnittlichen Charakter disponiert, der hatte vorher wohl auch keinen höheren Platz auf der Ethik-Skala.

Ich vertraue aber weiterhin darauf, dass Politik wie auch einige andere Tätigkeiten vom Durchschnitt abweichende Charakterzüge erfordern. Das Verhalten von Spindelegger, Gusenbauer, Schröder untergräbt dieses Vertrauen. Und damit die Demokratie.