Christian Rainer: Wechselnichtbeschwerden

Nach Niederösterreich jetzt Oberösterreich. Die Landespolitik ist auf gutem Weg in die neue Zeit. Und Wien?

Drucken

Schriftgröße

Nach Erwin Pröll vor einigen Wochen hat nun auch Josef Pühringer erklärt, wann er sein Amt abgeben wird. Bald. Ein kleinerer Stolperer hier: Der Termin für die Bekanntgabe des Termins (gab’s ernsthaft) in Oberösterreich wurde vorzeitig veröffentlicht, die Linzer sind (auch ernsthaft) auf der Suche nach dem Verräter. Ein unnötiger Fehltritt dort: Das Affärchen rund um die Stiftung des Niederösterreichers hätte man sich sparen können. Da ist zwar echt nix Kriminelles dran, aber die Stiftung hätte halt längst öffentlich machen sollen, dass sie auch mit Steuergeld dotiert wird und dass der Landeshauptmann gedenkt, nach seinem Ausscheiden weiter über die Verwendung zu entscheiden. Niemand hätte sich daran gestoßen.

Aber wir wollen heute nicht pingelig sein. Pühringer und Pröll haben wie viele Landespolitiker vor ihnen über Jahrzehnte mit Herzblut im wahren Sinne des Wortes an der Gestaltung und Entwicklung, an Gegenwart und Zukunft ihres Bundeslandes gearbeitet. Erlauben wir uns ausnahmsweise (Vorsatz: nicht ausnahmsweise), den deutlichen Überhang des Positiven herauszustreichen!

Wer die Provinz kennt, besetzt das Wort „provinziell“ längst nicht mehr mit kleingeistig, engstirnig oder konservativ. Im gleichen Takt, in dem sich „urban“ von weltoffen zu klüngelig, von fortschrittlich zu populistisch, von modern zu kurzlebig gedreht hat, kommunizierend mit den hässlich heraustretenden Verformungen des Stadtlebens, hat die Provinz günstige Zuschreibungen erhalten. Da tritt das wechselseitige Kümmern der Anonymität entgegen, das individuelle Tun dem Abschütteln von Verantwortung, die Übersichtlichkeit der Verdrängung. Land ist im Mittelwert jedenfalls menschlicher als Stadt, und das kann man nur zynisch als einen Nachteil qualifizieren.

Solcherart zugespitztes Lob des Landlebens wäre angreifbar, wenn es nicht quergeschnitten würde mit den Nachteilen. Wir greifen hier die politische Dimension heraus: Die beschriebene Idylle tendiert zu höfischem Regieren. Landesfürsten sind wesentlich länger an der Macht als jeder Bundeskanzler. Da schleicht und schleift sich allerhand Unwirtliches ein; da steht regelmäßig Kontinuität, die langfristiges Denken ermöglicht, in einem Spannungsfeld zum Dahinschludern, das falsche Ausrichtung und die Fehlerquote begünstigt. Kontrolle setzt nicht ein, weil der Austausch des Personals ausfällt. Da werden Idioten und Falotten mitgeschleppt, die andernorts längst ausgesiebt worden wären. Der Fall Kärnten sucht selbst in der EU erfolglos seinesgleichen.

Pröll, Pühringer und Konsorten sollen zufrieden auf ihr Lebenswerk blicken (und sich glücklich schätzen, dass sie nie nach Wien in eine Parteizentrale oder die Regierung gewechselt sind)

Andernorts – das ist dann natürlich die Bundespolitik. Ein – mein – beliebtes Spiel ist es, die Chefs von SPÖ und ÖVP der vergangenen vier Jahrzehnte hinauf- und hinunterzudeklinieren. Bis auf ein oder zwei Ausnahmen – Franz Vranitzky, Josef Riegler – sind alle irgendwie in Unbill oder im Unglück gelandet: krank, verbittert, zynisch. Bei Landeshauptleuten ist das Verhältnis zwischen gutem und schlechtem Ende umgekehrt. Das sagt einerseits etwas über falsche Berufswahl aus, auch über das Peter-Prinzip, auch über die Unfähigkeit, zum richtigen Zeitpunkt „Nein“ zu sagen. Andererseits erzählt diese Ministatistik auch von der unmöglichen Möglichkeit, die Republik auf oberster Ebene friktionsfrei zu schaukeln. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit hängt das zusammen mit: der inversen Machtstruktur in den Parteien; der ungleich kritischeren öffentlichen Meinung gegenüber der Bundesregierung; den ungleich kritischeren Meinungsmachern, also vor allem den Journalisten, auf diesem Battleground; mit dem Auseinanderfallen von Steuerhoheit und dem Verteilen des Geldes, das den Bund zu Raubrittern und die Länder zu Gönnern macht; schließlich auch mit der bis zur Dysfunktionalität komplexen Abgrenzung der Zuständigkeit von Ministerien.

Zurückkommend: Pröll, Pühringer und Konsorten sollen zufrieden auf ihr Lebenswerk blicken (und sich glücklich schätzen, dass sie nie nach Wien in eine Parteizentrale oder die Regierung gewechselt sind).

Stichwort Wien, Stichwort Lähmung: In der Landeshauptstadt steht der Machtwechsel weiter an. Das unterbindet Entscheidungen der Kommune, das schwächt die Schlagkraft der Sozialdemokratie, das reduziert daher wiederum die Möglichkeiten der Bundesregierung in Person des Kanzlers. Michael Häupl hat so lange zugewartet, dass man meinen könnte, die Spaltung der Partei erzwinge nun weiteres Zuwarten.

Unsinn: Häupl möge bald entscheiden und entscheiden lassen! Sonst wird er anders als der Niederösterreicher und der Oberösterreicher nicht fröhlich zurück und damit nach vorne blicken können.

[email protected] Twitter: @chr_rai