Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer: Wirtschaft wider Werte

Wirtschaft wider Werte

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In den vergangenen Wochen war viel los in und mit Österreich. Das Land kam in die internationalen Medien (auch abseits von Spielberg). Erdogan war hier und Putin. Der Finanzminister vollzog mit der Enteignung von Hypo-Gläubigern, für die er als Vizekanzler der föderal verfassten Republik persönlich gehaftet hatte, einen Vertrauensbruch, der selbst den altgedienten profil-Herausgeber sprachlos macht (und lustlos, dieses Symptom von patscherter Selbstgefälligkeit auch noch zu kommentieren). Am Donnerstag der vergangenen Woche schließlich wurde Siegfried Wolf, ein russischer Manager mit steirischen Wurzeln, zum Aufsichtsratspräsidenten der österreichischen Verstaatlichtenholding gewählt (jawohl, so muss man das formulieren).

All das hängt zusammen, wenn auch ohne einheitliche Formation, ohne gemeinsames Ziel. Allenfalls ist da ein Muster zu sehen, das durch Übereinanderschichtung von Interessenslagen entsteht, von persönlicher oder kollektiver Vorteilssuche. Die politischen Lager sind aufgeweicht, ihre Ideologien in osmotischem Austausch durch die löchrige Trennschicht zwischen SPÖ und ÖVP. Irgendwie ist ein Geschiebe von übergeordneten Werten und ökonomischer Gier zu spüren; und dabei buchte zuletzt eher das Geld Erfolge ein.

Sebastian Kurz hat dem Staat die Außenpolitik zurückgegeben. Weniger pathetisch sollte man das jetzt nicht ausdrücken. Da war in den vergangenen beiden Jahrzehnten jede Kontur verloren gegangen: unter den Parteigestalten Schüssel und Spindelegger – Motto Desinteresse –, unter dem diplomatischen Geflügelklein von Ferrero-Waldner und Plassnik. Wie Kurz in Sprache, Gesten, Inhalt mit dem Nicht-Staatsbesuch von Recep Tayyip Erdogan umging, war beeindruckend: kein Ausweichen vor der Türkenpremierbelagerung; ein verbaler Tieftritt ohne Verletzung des Hofzeremoniells; eine sinnvolle Begründung im Wege der Integrationsfrage. Kurz schützte die Würde der Republik, während sich Präsident und Kanzler drückten. Da hätte man von den sozialistischen Internationalisten doch mehr erwartet.

Freilich war das auch Kurzkalkül gegenüber den Wählern und gegen einen lauernden Strache; aber es war Kalkül mit scharfem Blick auf die Sache. Und ohne Rücksicht auf Verluste: Man konnte ja hören, wie die heimischen Unternehmer zeitgleich ihre Hinternbacken zusammenklappten, weil sie um das Geschäft mit 76 Millionen Türken fürchteten.

Ganz anders die Gefechtslage mit Wladimir Wladimirowitsch Putin: kein Gefecht. Da kam es zu einem dummen Schulterschluss. Dumm, weil die Herren es auch noch dreist zeigten: Putin Seite an Seite aufgefädelt mit Christoph Leitl und Heinz Fischer in der Wiener Wirtschaftskammer. Vorwand: ein Vortrag. Der Unternehmerpräsident rieb sich die Hände. Fette Aufträge aus Russland. Erst kommt das Fressen, dann kommt lange nichts, und dann kommt die Moral sicher nicht. Aber was kommt da für Fischer? Er darf international vermitteln. Auch schön.

Rollen die Rubel wirklich runder, nur weil der russische Kriegsherr sich hier produzieren darf, aber nirgendwo sonst in EU-Europa? Glaube ich nicht. Und weil ich es so wenig glaube wie viele andere im Lande, wurde uns Ungläubigen ein Beweisstück geliefert. Schere, Stein, Papier, und ganz weg waren wir. Wir wurden mit einem Stück Papier überrumpelt. Nebenhandlung des Putin-Besuchs: OMV-Chef und Gazprom-Chef fixieren mit einer dramatisch inszenierten Vertragsunterzeichnung, dass sie … bald einen Vertrag abschließen wollen: 50 Kilometer Pipeline für russisches Erdgas bis zum Endbahnhof auf österreichischem Staatsgebiet. Da werden die Ukrainer aber blöd schauen, wenn sie jetzt umgenietet und später auch noch umgangen werden. Die EU-Kommission hält den Vertrag für bedenklich.

Der schwedische Außenminister Carl Bildt kritisiert das ganze Theater. Österreich bietet die Bühne.

Und dann noch Siegfried Wolf. Er arbeitete für den
österreichischen Oligarchen Frank Stronach. Jetzt arbeitet er für den russischen Oligarchen und Putin-Vertrauten Oleg Deripaska. Seit Donnerstag kontrolliert er als Präsident der ÖIAG wichtige Konzerne wie Telekom, Post und OMV. Warum ein Quasi-Russe mit österreichischem Geburtsort und Pass? Weil sich das im ÖIAG-Aufsichtsrat versammelte Kapital gegen die Demokratie durchgesetzt hat. Und der Finanzminister nichts anderes wollte.

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