Christoph Zotter

Christoph Zotter: Klimawandler

Europas Politik muss jetzt beweisen, dass grüner Populismus allein nicht reicht.

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Neujahrstag 2020: Während die österreichische Regierung in Wien noch an ihrem Rechts-links-Klima-Antimigrations-Bündnis tüftelt, hält die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in Berlin ihre traditionelle Fernsehansprache. Darin widmet sie sich einem Phänomen, das ihrer Meinung nach das kommende Jahrzehnt bestimmen wird: Deutschland, Europa und die Welt sollen alles „Menschenmögliche“ tun, um die Umwelt zu retten und die vom Menschen geschaffene Erderwärmung zu bekämpfen.

Europa wird gerade von einer Welle grünen Tatendrangs erfasst: Während in Australien die Wälder brennen, raffen sich die Mächtigen in den europäischen Hauptstädten auf, der drohenden Katastrophe entgegenzutreten. In 30 Jahren soll alles anders sein: die Luft sauber, die Wälder gesund, der Boden erholt, das Essen bio, der Müll recycelt. Der Ausstoß des Treibhausgases CO2 soll drastisch zurückgefahren werden. Wer es sich nicht leisten kann, die dafür notwendigen Technologien zu kaufen, soll Hilfe bekommen.

Yes, we can!

Das sagen nicht nur Linke oder Umweltaktivisten: Die EU-Kommission hat kurz vor Weihnachten einen ambitionierten „European Green Deal“ vorgestellt. Vergangene Woche gab sie bekannt, dass sie in den kommenden zehn Jahren eine Billion (also 1000 Milliarden) Euro aufwenden will, um das europäische System vollkommen umzubauen. Bis 2050 sollen die EU-Mitglieder CO2-neutral werden.

Doch nicht nur Merkel und die EU-Kommission wollen diesen Wandel einleiten – auch der populistische Gottseibeiuns der europäischen Politik, der ungarische Premier Viktor Orbán, gibt sich plötzlich grün. An seiner Seite: der polnische Premier, der tschechische Premier und der österreichische Bundeskanzler, der noch vor einem Jahr mit einer Partei koaliert hat, deren Chef den menschengemachten Klimawandel ernsthaft leugnete. Heute spricht sich kaum ein bedeutender europäischer Politiker offen gegen den grünen Wirtschaftsumbau aus. Es scheint, als hätte der Kampf gegen den Klimawandel die Migrationshysterie der vergangenen Jahre endgültig abgelöst.

Großartig: Endlich ziehen alle an einem Strang, um eines der zentralen Probleme der Gegenwart zu lösen! Besonders euphorisch zeigt sich die EU-Kommission: Ihre Präsidentin Ursula von der Leyen spricht von einem „Mann-auf-dem-Mond-Moment“, sie selbst werde als „Anti-Trump“ gesehen. Der österreichische Finanzkommissar Johannes Hahn fing vor lauter Freude gar zu rappen an: „Wir brauchen Klima-Cash gegen den Klima-Crash.“

Bei einem nachhaltigen Umbau des gesamten Wirtschaftssystems wird es auch Verlierer geben.

Die Ernüchterung könnte schnell folgen. Nichts gegen Grün – allerdings mit der Einschränkung, dass es niemandem schaden oder gar viel Geld kosten darf. Bezeichnend die Reaktion der österreichischen Regierung: Die ÖVP begrüßte den Kommissionsplan prinzipiell, erklärte jedoch gleich, dass er nicht zulasten der Bauern gehen dürfe; außerdem wolle man weiterhin nur ein Prozent des Bruttoinlandsproduktes für das EU-Budget bereitstellen – auch wenn die Kommission bereits klargemacht hat, dass sie für ihr Klimapaket mindestens 1,11 Prozent braucht. Der grüne Regierungspartner zuckte dazu nur mit den Schulten.

Damit sind wir beim Kernproblem, das sich durch den gesamten Klimaplan der EU-Kommission zieht: Er ist ambitioniert. Er verlangt Veränderung. Und es wird einige geben, die dabei verlieren. Schließlich sollen die Wälder aufgeforstet werden, um CO2 zu speichern. Die Umweltschutzgebiete Natura2000 will man auch in Österreich erweitern, um die Artenvielfalt zu retten. Das braucht Platz, der vor allem in Österreich gerne mit Gewerbeparks zugepflastert wird, die Jobs in ärmere Regionen bringen – was Lokalpolitikern mehr hilft, als seltene Eichelhäher zu schützen.

Unternehmen könnten dazu verpflichtet werden, Produkte herzustellen, die repariert werden können, anstatt bei der ersten Gelegenheit entsorgt werden zu müssen. Der Straßenverkehr soll eingedämmt, Flüge sollen teurer werden. Wie das aufgenommen wird, zeigt das Beispiel Frankreich, wo Präsident Emmanuel Macron mit einer Treibstofferhöhung vor eineinhalb Jahren die Gelbwesten-Revolte lostrat, die bis heute andauert.

Egal wie sehr sich die Politik auch bemühen wird: Bei einem nachhaltigen Umbau des gesamten Wirtschaftssystems wird es Verlierer geben – seien es ganze Branchen wie die deutsche Autoindustrie, die bereits vor einer halben Million verlorener Jobs warnt; seien es einzelne Bürger, die nicht einsehen, warum auch sie alles „Menschenmögliche“ versuchen sollen.

Die europäische Politik muss jetzt beweisen, dass sie in der Lage ist, langfristig zu denken und zu handeln, auch wenn es Stimmen kosten kann. Wer einfache und populistische Lösungen verspricht, wird dafür sorgen, dass das große EU-Umweltschutzprojekt genauso scheitert wie der Kampf gegen illegale Migration, der seit Jahren nur Elend verwaltet und Geld kostet.

[email protected] Twitter: @christophzotter