Kolumne

Daumenschrauben

Ist der Mensch zum Arbeiten geboren, und wenn ja, warum nicht jeder?

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Wir sollten vielleicht akzeptieren, dass es Jobs gibt, denen niemand 40 Jahre lang acht Stunden am Tag und fünf Tage in der Woche nachgehen will oder kann. Das Putzen von Klos wäre zum Beispiel so ein Job. Oder in einer chemischen Reinigung in giftigen Dämpfen zu stehen. Abfallberge auseinanderzuklauben und das Zeug zu sortieren. Schwere Lasten zu stemmen. Und so weiter. Die Liste mutmaßlich unbefriedigender, schweißtreibender, öder und dennoch notwendiger Tätigkeiten ist lang, wenn man nur einmal anfängt, darüber nachzudenken. 

„Die Leute wollen doch arbeiten!“, sagen wir und glauben, dass Arbeiten ein menschliches Grundbedürfnis ist, auch wenn uns ausgesuchte Bevölkerungsgruppen, zu deren Grundbedürfnissen offenbar mehr das Jagen, Saufen, Segeln, Polospielen oder wahllose Promiskuität gehören, seit Jahrhunderten demonstrieren, dass sie sehr gut ohne echte Arbeit auskommen.

Aber wohin würde denn das führen, wenn alle nur noch saufen, jagen, Polo spielen oder einander begatten würden!

Aber wohin würde denn das führen, wenn alle nur noch saufen, jagen, Polo spielen oder einander begatten würden! Genau. Deshalb ist das Nichtstun beziehungsweise das Tun ohne gesellschaftlichen Nutzen ein Privileg. Und deshalb hat man das nützliche Tun mit einem moralischen Imperativ verknüpft. Seitdem liegen der Glaube, dass der Mensch dazu geboren sei, im Schweiße seines Angesichts sein Brot zu verdienen, und ein anscheinend natürlicher menschlicher Hang zum Hedonismus miteinander im Clinch. Früher, als religiöse Drohungen noch Furcht und Gehorsam bewirkten, siegte der Glaube, in den letzten Jahrzehnten gewinnt der Hedonismus, zumindest in den westlichen Gesellschaften, an Terrain. Das kann man verurteilen oder verstehen. Oder verstehen und trotzdem verurteilen, weil, siehe oben, was heißt das dann für die Zukunft?

Einstweilen arbeiten ja die meisten von uns eh, viele tun es sogar gern. Oder ganz gern. Oder gern, aber bitte nicht ununterbrochen. Kommt darauf an, worin die Arbeit besteht.

Die Jobs respektive Berufe, unter denen Menschen wählen können, sind, um ein modisches Wort zu verwenden, recht divers. Es gibt Jobs, die müssen gemacht werden, und sie werden auch gemacht, aber niemand sieht das Glück seines Lebens darin. Es gibt Jobs, die werden als mehr oder weniger befriedigende Aufgabe empfunden. Es gibt sinnvolle Jobs, wie zum Beispiel kranke Menschen zu pflegen, aber lange, familienfeindliche  Arbeitszeiten und schlechte Bezahlung machen sie zunehmend unbeliebt. Es gibt Tätigkeiten, die erscheinen als total sinnbefreit, wie zum Beispiel das Wirken und Werken von Influencer:innen, sie sind aber überaus begehrt.

Es gibt Berufe, denen mit Leidenschaft nachgegangen werden kann, und Jobs, für die Leidenschaft zu empfinden zu viel verlangt wäre. Und jede Leidenschaft kann dem Menschen durch behindernde Rahmenbedingungen  ausgetrieben werden, wovon beispielsweise Wissenschafter:innen ein Lied singen können. Was schließen wir daraus?

Grundsätzlich denke ich schon, dass sich der Mensch eine Aufgabe im Leben wünscht sowie daraus resultierende Anerkennung, aber was als Aufgabe empfunden wird, ist recht unterschiedlich. Man kann die Pflege von Blumenschmuck auf dem Balkon durchaus als Aufgabe sehen und eine Medaille vom Fremdenverkehrsverband dafür als erstrebenswertes Ziel. Aber soll man davon leben können, und wenn ja, wer soll dafür bezahlen? Dass das Putzen von Klos als Aufgabe empfunden wird, ist eher unwahrscheinlich. Immerhin wird es bezahlt – zumindest dann, wenn man fremde Klos putzt –, aber nicht unbedingt so gut, dass man davon leben kann.

Man könnte die Situation so zusammenfassen: Individueller Sinn, gesellschaftlicher Nutzen und die persönliche wirtschaftliche Rentabilität einer Tätigkeit sind nicht unbedingt deckungsgleich.

Daraus könnten, politisch und gesellschaftlich, allerlei Konsequenzen gezogen werden. Ich fände es zum Beispiel anständig, nicht darauf zu bauen, dass die Sinnhaftigkeit einer Aufgabe bereits als größerer Teil der Bezahlung durchgehen wird, oder darauf, dass Forscher:innen das Forschen als unbezahlbares Hobby betreiben wollen, oder darauf, dass der menschliche Körper, wenn er Angehörigen der Unterschicht gehört, unbegrenzt belastbar ist. Und ich fände es gerecht, wenn wir nicht erwarten würden, dass Menschen öden, mühseligen, aber notwendigen Tätigkeiten Tag für Tag acht Stunden ihrer Lebenszeit zur Verfügung stellen.  

Stattdessen jedoch: Moralische Entrüstung über die mangelnde Arbeitsmoral derer, die sich nicht darum reißen, das zu tun, was die Entrüsteten selber nie tun würden, und Überlegungen, welche Art von Daumenschrauben sie zwingen könnte, mühselige und schlecht bezahlte Jobs anzunehmen. Degressives Arbeitslosengeld? Härtere Zumutbarkeitsbestimmungen? Gestrichene Zuverdienstmöglichkeiten? Pension erst ab 70? Kann ja sein, dass eisernes Durchgreifen den gewünschten Erfolg bringt. Kann aber auch sein, dass Arbeitnehmer:innen auf andere Arbeiten ausweichen und dass auf bestimmte Branchen ein spürbarer Personalmangel zukommt. Ist schon da? Ja dann.