Leitartikel

David gegen Goliath: Wenn der ORF allmächtig wird

Medienvielfalt ist ein demokratiepolitischer Grundbaustein. Das geplante ORF-Gesetz bedroht die Existenz privater Medien, weil sie nicht mehr konkurrenzfähig sind. Die Regierung übt sich in Ignoranz.

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Vergangene Woche fand ein trauriges Begräbnis statt. Die „Wiener Zeitung“ wurde beerdigt, nach langem Kampf und schwerer Krankheit. Seit Jahren haben Regierungsvertreter – also die Eigentümer – nichts zu ihrer Genesung getan. Im Gegenteil: Man verzichtete bewusst auf Innovation; setzte eine Geschäftsführung ein, die weder Visionen noch Ambitionen hatte. Die Politik verwandelte das Medium in Schrödingers Zeitung, indem man per Gesetz verbot, kostendeckend zu wirtschaften und den festgelegten Preis von einem Euro zu erhöhen. Übersetzt: Jeder Abonnent schadete dem Unternehmen. Darum gab es die interne Vorgabe, möglichst wenig Neuabonnenten zu gewinnen und auf Werbung zu verzichten. Am Ende wurde die Zeitung seitens der Regierung zugedreht – mit dem Argument: „Das liest ja keiner.“ Das zeigt insgesamt das medienpolitische Interesse von Schwarz-Grün: Es liegt bei null.

Die nächste medienpolitische Wahnsinnstat ist im Endspurt: das ORF-Gesetz. Der Öffentlich-Rechtliche soll digital mehr dürfen, die Haushaltsabgabe soll kommen. Weitere Millionen aus dem Steuertopf gibt es on top. Die privaten Medien heulen auf, denn die Konkurrenzfähigkeit ist immer weniger gegeben. Der ORF breitet sich seit Jahren wie eine Krake auf dem Markt aus, will alles machen, alles dürfen – und das am besten von der Allgemeinheit finanziert.

Das Argument: „Die Leute sollen für ihr Geld auch etwas bekommen.“ Private Medien können da nicht mithalten, wenn die Branche - politisch befeuert - weiter ausblutet, wird es noch schwieriger. Dazu kommt: Je stärker der ORF wird, desto mehr schadet er privaten Mitbewerbern über die Hintertüre. Denn wer große Reichweite hat, der bekommt ein großes Stück aus dem Gesamtwerbeetat des Landes. Diesen Kuchen frisst der ORF jetzt schon zu großen Teilen. Es ist David gegen Goliath.

Eines muss betont werden: Es geht nicht darum, Journalismus zu beschneiden. Denn der ist im ORF ordentlich. Es geht darum, aufzuzeigen, dass Politik und der ORF vergessen haben, was ein öffentlich-rechtlicher Auftrag bedeutet. Der ist derzeit per Gesetz beinahe allumfassend – im Kern hat der ORF die Pflicht, ein Gesamtprogramm von Information, Bildung, Kultur, Sport und Unterhaltung anzubieten.

Ist das noch zeitgemäß? Nehmen wir den Sport: Der wird gesendet, um „der Förderung des Interesses der Bevölkerung an aktiver sportlicher Betätigung“ dienlich zu sein. Regt die Formel Eins wirklich zur Bewegung an? Oder Skifliegen? Warum soll das nicht auch von Privaten abgedeckt werden?

Oder Unterhaltung: Gehören sündteure Lizenz-Sendungen wie „Dancing Stars“ zum Kernauftrag, den die Bürger mit Pflichtgebühren zu finanzieren haben? Und: Braucht es wirklich Werbung auf der Blauen Seite, die von der Allgemeinheit finanziert wird? Jetzt könnte man einwenden, private Medien schalten auch Werbung. Aber: Sie werden eben nicht von allen per Haushaltsabgabe oder Gebühren finanziert. Wofür es den ORF wirklich braucht, ist „Information“ – das hat nicht zuletzt die Pandemie gezeigt. In dieser Sparte soll er sich auf allen Ebenen austoben dürfen.

Medien- und Meinungsvielfalt sorgen für einen gesunden politischen Diskurs, für Toleranz – und, ja, Bildung. Dass Schwarz-Grün die vierte Säule mit solchen Gesetzen derart beschneidet – und vor allem die kleinen, in der Erhaltung teuren Qualitätsmedien, weiter ins Eck zu drängen (oder gleich abzuschaffen) versucht, ist demokratiepolitisch höchst alarmierend. Ein Blick in die Medienlandschaft Europas zeigt: Dort wo die Öffentlich-Rechtlichen einen klaren Auftrag mit klaren Grenzen haben, besteht Medienvielfalt. Da, wo das nicht so ist, gibt es eine Übermacht des Öffentlich-Rechtlichen und einiger großer Boulevardmedien. Der Rest vegetiert in wirtschaftlich schwierigen Zeiten vor sich hin.

Freilich weiß das die Politik. Vielleicht will man auch bewusst jene Medien stärken, wo der politische Einfluss bisher gut funktioniert hat? Warum wurden die politisch besetzten Gremien des ORF, wie der Stiftungsrat, wieder nicht angegriffen, wenn es doch angeblich um mehr Unabhängigkeit geht? Die Wahrheit ist: Weil die Parteien, die an der Macht sind, daran hängen. Und die anderen hoffen, bald wieder am Futtertrog zu sein. Einzig das SPÖ-regierte Burgenland wagte zuletzt den Gang zum Verfassungsgerichtshof, um die politische Kontrolle des wichtigsten Organs des ORF - der Stiftungsrat - aufzubrechen. Ein Ergebnis wird im Juni erwartet.

Insgesamt ist das derzeitige Handeln der Politik kurzsichtig. Was passiert, wenn es nur mehr wenige Medien gibt, die dazu am Gängelband der Politik hängen, sieht man in Ungarn. Österreich sollte das ein warnendes Beispiel sein.

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.