Der Kosovo darf nicht weiter isoliert werden

Die jüngsten Strafmaßnahmen gegen Prishtina sind überzogen. Der Westen bestraft ein Land, dass er einst eigenmächtig erschaffen hat.

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Immer dann, wenn man glaubt, dass es im Kosovo nicht noch schlimmer werden kann, wird es noch schlimmer. Die Chronologie der Ereignisse im Zeitraffer. Serbische Aufständische blockieren Grenzübergänge mit Lastwägen. Einige sind bewaffnet und vermummt, es fallen Schüsse. Serbische Bürgermeister quittieren ihre Ämter in den vier nördlichen Gemeinden des Landes, ihre Wähler boykottieren die Urnen. Ende Mai kommt es zu den schwersten Ausschreitungen seit der Unabhängigkeit im Jahr 2008. Flaschen und Brandsätze fliegen auf Soldaten der NATO-Schutztruppe „Kfor“ und verletzen 30 von ihnen. Sie sind seit 1999 im Kosovo stationiert, um den Frieden zu wahren. In den letzten Jahren wurden es stetig weniger, ein Zeichen der Entspannung. Jetzt ist die Lage wieder so ernst, dass die NATO um 700 Mann und Frau aufstocken muss.

 

Festgenommen ja, aber wo?

Mehr Militärpräsenz bedeutet aber nicht automatisch weniger Konflikt.

Vergangene Woche tauchte in sozialen Netzwerken ein Foto auf. Drei Polizisten in kosovarischer Uniform liegen, mit dem Gesicht zur Erde, gefesselt am Boden. Ihre Augen sind verbunden. Die Regierungen in Prishtina (Kosovo) und Belgrad (Serbien) haben konträre Erklärungen parat. Belgrad sagt, die drei Polizisten seien kilometerweit in serbisches Territorium vorgedrungen und planten womöglich einen Terroranschlag. Es handle sich um eine Festnahme. Prishtina sagt: Die serbischen Polizisten haben die Grenze zum Kosovo übertreten und die Polizisten gekidnappt.

Die Regierung in Prishtina hat Karten und Beweismittel veröffentlicht. Laut ihrer Darstellung sollen die drei Polizisten gegen 11:56 von einer serbischen Anti-Terroreinheit auf kosovarischem Staatsgebiet festgenommen worden sein. Nur ihr Auto, ein weißer Dacia-Duster-Geländewagen, blieb am Tatort zurück. Aus Diplomatenkreisen ist zu hören, dass diese Darstellung wohl am plausibelsten ist. Der Balkan-Experte Florian Bieber hält die Terror-Theorie Serbiens für „absurd“, wie er im profil-Podcast sagt. Es habe sich um reguläre Polizisten im Patrouillen-Dienst gehandelt, die weder die Ausrüstung noch das Profil für eine solche Mission hatten, nicht zuletzt, weil sie Uniform trugen.

 

Solange die „Kfor“ (die angibt, nicht vor Ort gewesen zu sein) keinen Bericht veröffentlicht, wird es wohl keine Klarheit geben. Dabei wäre genau das so wichtig, um Verantwortliche klar zu benennen. Daran sollten nicht zuletzt die USA ein Interesse haben.

 

Der Nordkosovo gilt zwar als ein Ort der Rechtslosigkeit und der Schmuggelpfade, aber militärisch wurden hier 1999 mit einer UN-Resolution klare Regeln geschaffen. Nach dem Krieg wollte man sichergehen, dass serbische Sicherheitskräfte die „administrative Linie“ nie mehr übertreten. Sollte sich die Darstellung von Prishtina als wahr herausstellen, dann hat Belgrad die völkerrechtliche Grundlage, mit der einst der Konflikt beendet wurde, vorsätzlich gebrochen. Aber wozu?

 

Testet Serbien ähnlich wie Russland damals auf der Krim, wie weit man gehen kann? Unwahrscheinlich. Der Kosovo steht, anders als die Ukraine, unter dem Schutz der NATO. Viel wahrscheinlicher ist, dass Präsident Vučić die martialischen Bilder bewusst produziert hat, um innenpolitisch zu punkten. Er steht nämlich seit Wochen wegen Massenprotesten unter Druck. Vučić, der immer autokratischer regiert, ist ein Meister der Ablenkungsmanöver. Und in der Kosovo-Krise läuft es richtig gut für ihn.

Verhältnis Kurti und EU zerrüttet 

Denn die Stimmung zwischen dem mehrheitlich von Albanern bewohntem Kosovo und seinen Alliierten EU und USA ist „im Keller“, wie aus Diplomatenkreisen zu hören ist. Der verständliche Frust der Vermittler entlädt sich derzeit an Premierminister Albin Kurti, der in off-the-record-Gesprächen gerne als Sturkopf dargestellt wird und in Berlin, Brüssel und Paris kollektives Augenrollen auslöse.

Kurti hat definitiv Fehler gemacht. Er hat Kosovo-Albaner, die im Norden keinen Rückhalt und keine demokratische Legitimation (aufgrund des Wahl-Boykotts der Serben wurden sie nur mit ein paar Hundert Stimmen gewählt) besitzen, trotz Warnung der Vermittler als Bürgermeister eingesetzt. Er hat die „Kfor“ zu spät darüber informiert und soll in kritischen Momenten sein Handy ausgeschaltet haben. Ihm die Alleinschuld an der Gewalt zu geben ist aber absurd. Verübt hat sie ein serbischer Mob und geschürt hat sie Präsident Aleksandar Vučić, der seit Jahren das Drehbuch für den Norden des Kosovo schreibt und dessen regierungsnahe Boulevardmedien den Hass schüren. Es ist jetzt aber Kurti, der Strafmaßnahmen kassiert (Aussetzen von Finanzhilfen, Absage ranghoher Besuche). Die Strategie ist undurchdacht. Die EU und die USA sind dabei ein Land zu isolieren, dass sie militärisch erschaffen und administrativ aufgebaut haben.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.