Christian Rainer: Peter Pilz ist ein Verräter

Was Peter Pilz tut, ist unerträglich. Soll man die Grünen gerade jetzt unterstützen oder muss man sie fallen lassen?

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Wer die Grünen wählt, tut dies aus zwei möglichen Beweggründen. Entweder man identifiziert sich mit dem Programm der Partei, also mit Umweltbewusstsein, Kapitalismuskritik und Willkommenskultur. Oder man findet es unabhängig von diesem Programm wichtig, dass eine unangepasste Partei im Parlament vertreten ist. Zu der zweiten Gruppe habe ich gelegentlich gehört, mit mir ein guter Teil meiner Bekannten und wohl auch der Bobo-Blase. Wir wählten grün, obwohl wir im Gegensatz zum Programm stehen: Umweltschutz nehmen wir nur in der Theorie ernst, unser eigener ökologischer Fußabdruck ist riesig. Wir halten eine gut geölte Marktwirtschaft für eine großartige Sache, und höhere Abgaben wie auch eine Erbschaftssteuer würden uns als Erste treffen. Von der Willkommenskultur haben wir uns abgewendet, weil sie uns trotz aller multikulturellen Toleranz als übergroße Belastung des Staatswesens erscheint, auch weil unsere Vorbehalte gegenüber manchen Migrantengruppen größer wurden. Und dennoch: Die Grünen vertreten Tugenden, die im politischen System repräsentiert sein sollen, und daher wählt man sie auch gegen die eigenen Interessen. Seit ihrer Gründung hat es keinen Skandal in den eigenen Reihen gegeben. Umso stärker treten sie der Korruption im Land entgegen. Im Zweifelsfall stehen sie auf der Seite der Schwachen. Ihr Verständnis von innerparteilicher und staatlicher Demokratie ist ungetrübt.

Und dann kam Peter Pilz. Beziehungsweise ging er.

Mit dem Verhalten von Peter Pilz muss man die Sache überdenken. Was hat er getan, und was erzählen die Vorgänge über die Partei?

Für mich ist Pilz ganz einfach ein Verräter, und mich wundert, dass ihn nicht alle so sehen, dass ausgerechnet die ach so korrekte „Blase“ Sympathien für ihn findet und dass er vom grünen Haus- und Hofblatt „Falter“ nicht geradeheraus verurteilt wird.

Für mich ist Pilz ganz einfach ein Verräter, und mich wundert, dass ihn nicht alle so sehen, dass ausgerechnet die ach so korrekte „Blase“ Sympathien für ihn findet, dass er vom grünen Haus- und Hofblatt „Falter“ nicht geradeheraus verurteilt wird, dass der bislang über viele moralische Zweifel erhabene und sich selbst erhebende Anwalt Alfred Noll als Mastermind der Pilz-Partei agiert und von Pilz als deren „Initiator“ genannt wird.

Pilz hat diese Parteigründung, die nichts anderes als eine Parteispaltung ist, aus einem einzigen Antrieb betrieben – und der heißt Peter Pilz. Pilz war gemäß den Regeln, die er selbst mitgestaltet und die er über Jahrzehnte mitgetragen hatte, von der Nationalratsliste gekippt worden. Das passte ihm nicht. Er fand, dass diese Regeln in seinem Fall zu einem für ihn nicht akzeptablen Ergebnis geführt hatten, dass sie für ihn nicht hätten gelten sollen, dass er also ein höheres Recht auf einen Sitz im Parlament hat. Mit diesem Sendungsauftrag also gründete er eine eigene Bewegung, die den Grünen schaden wird, und das in existenzbedrohendem Ausmaß. Die grüne Abgeordnete Sigrid Maurer qualifizierte den Vorgang im profil der vergangenen Woche so: „Peter ist ein Populist, der egogetrieben sein eigenes Ding macht und nicht im Interesse der Partei handelte.“ Das ist eine freundliche Form, um einen fatalen Verrat an Regeln, Ideen, Mitstreitern und der eigenen Identität zu umschreiben.

Natürlich redet Pilz sein Verhalten schön. Er sei „auf der Straße“ und „per E-Mails“ „immer stärker aufgefordert“ worden, ja selbst von „Müllmännern“. Das ist Politikerlatein und peinlich.

Haben wir uns also getäuscht, waren wir Träumer, wir, die wir die Grünen konträr zu unseren Standpunkten und Interessen, aber wegen ihrer grundsätzlichen Haltung für so wichtig hielten?

Gemäß Faktenlage befinden sich die Grünen an einem All-Time-High ihrer Entwicklung. Sie stellen den Bundespräsidenten und sind in sechs Landesregierungen vertreten. Ausgerechnet an diesem Höhepunkt marodiert der moralische Unterbau. Denn bedauerlicherweise ragt die Angelegenheit inzwischen über den Einzelfall hinaus: Mit der Verurteilung eines Einzelnen, der die selbst gesetzten Grenzen seiner Bewegung schon zuvor mehrfach getestet hat, ist es nämlich nicht getan. Das ergibt sich einerseits daraus, dass die grüne Bewegung und ihre diskursverliebte Anhängerschaft zu keiner eindeutigen Haltung gegenüber Pilz finden können, dass sich beschämend viele Zündler und Überläufer finden. Andererseits muss man nun auch jenes Spitzenpersonal hinterfragen, das wir bisher für ideologisch und charakterlich lauter gehalten haben. Denn zu Pilz haben sich noch zwei Abgeordnete gesellt, die ihre Partei aus ähnlich egoistischem Motiv verraten: Bruno Rossmann und Wolfgang Zinggl wären nach der Wahl nicht mehr im Nationalrat vertreten gewesen. Mit ihren Unterschriften haben sie die Kandidatur der Liste Pilz ermöglicht – und so die Hoffnung auf ein Abgeordnetengehalt auf eben dieser Liste wiederaufleben lassen.

Haben wir uns also getäuscht, waren wir Träumer, wir, die wir die Grünen konträr zu unseren Standpunkten und Interessen, aber wegen ihrer grundsätzlichen Haltung für so wichtig hielten? Soll man die Grünen gerade nun gegen Menschen wie Pilz, Rossmann und Zinggl stützen? Oder muss man sie gerade deshalb fallen lassen?