Elfriede Hammerl

Elfriede Hammerl … raus bist du!

… raus bist du!

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Also. Die Hauptschule heißt jetzt Neue Mittelschule, hurra. Das Gymnasium gibt es weiterhin, halleluja. Wer ins Gymnasium möchte, muss sich schon in der Volksschule dafür qualifizieren. Wer mit 14 im Gymnasium bleiben oder nach der Neuen Mittelschule ins Gymnasium über­treten will, muss erst mal seine mittlere Reife nachweisen. (Wetten, dass Gymnasiasten dabei bessere Chancen haben werden als neue Mittelschüler? Weil ja, wie der Vizekanzler so schön sagte, die Langform des Gymnasiums ganz andere Schwerpunkte setzen und von Anfang an auf eine längere Bildungskarriere vorbereiten kann.) Und, nicht vergessen: Eltern sind verpflichtet, ihren Kindern bei den Hausauf­gaben zu helfen.

So schaut eine Bildungsreform in Österreich aus. Dahinter steht offenbar die alte Auffassung: Bildung ist ein ­kostbarer Schatz, auf den nur Auserwählte Zugriff haben dürfen.

Es geht in diesem Verständnis nicht darum, möglichst vielen Kindern möglichst viel beizubringen, sondern darum, immer wieder diejenigen herauszufiltern, die für würdig ­erachtet werden, noch mehr lernen zu dürfen.

Aussieben statt fördern. Unfähigkeit nachweisen statt ­befähigen. Ent- statt ermutigen. Die positive Verstärkung, deren segensreiche Wirkung sich sogar bis in die Hunde­erziehung durchgesprochen hat, ist in der schulischen Menschenerziehung hierzulande wenig verbreitet. Sparsames Lob, reichlich Tadel. Schwachstellen entdecken. Nicht, um zu helfen, sondern um Blödheit zu diagnostizieren.

Weil: Wo kommen wir denn hin, wenn alle! Es kann doch nicht jeder!
Wer ungebildete Eltern hat, die mangels Kenntnissen nicht in der Lage sind, bei den Hausaufgaben zu helfen, ­gehört halt nicht ins Gymnasium. Wer gebildete Eltern hat, die mangels didaktischer Ausbildung nicht in der Lage sind, den Schulstoff zu erklären, gehört halt nicht ins Gymna­sium. Kinder berufstätiger Mütter gehören nicht ins Gymnasium. Wer kein Genie ist, das nie Hilfe oder Unterstützung braucht, gehört nicht ins Gymnasium. Wessen Eltern keine Nachhilfestunden zahlen können, der oder die soll halt nicht in eine höhere Schule gehen.

Denn: Die Eltern sollen ihre Aufgaben gefälligst nicht an die Schule delegieren. Die Aufgabe von Eltern ist es, gebildet und wohlhabend zu sein, über didaktische Kenntnisse zu verfügen und ein unbegrenztes Zeitbudget zur Verfügung zu haben. Sind sie nicht willens und fähig, dieser ihrer Aufgabe nachzukommen, sollen sie sich nicht wundern, wenn aus ihren Kindern nix wird.

Exzellenzen sind gefragt! Eliten! High Potentials! Die bezieht man am besten aus Elternhäusern, die traditionell mit der Herstellung von Führungspersönlichkeiten betraut sind. Nur keine Experimente!
Im Ernst: Da wird angeblich über mehr Chancengleichheit nachgedacht, und alles, was herauskommt, ist eine großspurig mittlere Reife genannte (Knock-out-)Prüfung auf dem Weg zur Matura. Fühlt sich dabei irgendwer gepflanzt? Nein? Warum nicht?

Oh ja, Leistung muss sein. Aber die ständige Drohung, Kindern schon noch zu zeigen, dass sie ja doch nicht in eine höhere Schule gehören, ist weniger Leistungsansporn als vielmehr eine Methode der Demoralisierung. Übrig bleiben nicht unbedingt die Klügsten, sondern vor allem Robuste, die wenig Selbstzweifel kennen.

Die Einstellung, dass beim Gros der Kinder wahrscheinlich eh Hopfen und Malz verloren ist, findet sich nicht nur in explizit konservativen Kreisen. Auch Aufsteiger, die offiziell Lippenbekenntnisse zu einem egalitären Bildungszugang ablegen, sind als Eltern in privaten Gesprächen ­besorgt, dass es ihren Kindern schadet, wenn die Schule dem Nachwuchs aus bildungsfernen Schichten zu viel Aufmerksamkeit schenkt. Und LehrerInnen aller politischen Lager werden nicht müde, auf Begabungsdifferenzen hinzuweisen, die nun einmal nicht aus der Welt zu schaffen wären.

Tatsächlich ist unbestreitbar, dass Kinder unterschiedlich talentiert und von unterschiedlich schneller Auffassung sind. Die Frage ist nur, welche Konsequenzen man daraus zieht. Ein gutes Bildungssystem gibt sich nicht damit zufrieden, die Unterschiede zu konstatieren und mangelnde Begabungen abzustrafen, sondern es bemüht sich, auch nicht offensichtliche Stärken von Kindern zu entdecken und zu fördern. Nicht alle können alles (werden), aber in vielen steckt mehr drin, als man fürs Erste vermutet.

Vor allem schießt sich ein gutes Bildungssystem nicht auf die Eltern ein. Getroffen werden dabei nämlich die Kinder. Mag sein, dass viele SchülerInnen mit Eltern geschlagen sind, die ihnen weder sozial verträgliche Umgangsformen noch Lerneifer in ausreichendem Maß mitzugeben imstande oder willens sind. Das ist ein Jammer, aber man kommt ihm nicht bei, indem man weitere Generationen inkompetenter Erwachsener heranzieht. Soll heißen: Die Schule wird sich der Aufgabe stellen müssen, erzieherische Defizite des ­Elternhauses zu kompensieren.
Dazu muss sie entsprechend ausgerüstet werden, personell und finanziell, keine Frage. Dass es mit der Ausrufung der gemeinsamen Schule bis 14 nicht getan wäre, bestreitet ohnehin niemand, der dieses Konzept befürwortet. Aber ­zunächst einmal braucht es die grundlegende Bereitschaft, (höhere) Bildung nicht als ein Privileg zu sehen, das vor dem Zugriff der Massen geschützt werden muss.

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