Ich äußere mich nicht zu Steinigungen, weil ich persönlich noch nie zu einer eingeladen war

Elfriede Hammerl: Beliebigkeitsgeschwafel

Beliebigkeitsgeschwafel

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Wenn ich ins Freie gehe, trage ich seit kurzem ein schwarzes, mantelartiges Übergewand aus Schafwolle, das von meinem Hals bis zu meinen Füssen reicht. Seit mich unsere Frau Ex-Justizministerin darauf aufmerksam gemacht hat, dass es sich dabei um ein praktisches und angenehmes Kleidungsstück handelt, lerne ich die Vorteile dieser Tracht zu schätzen. Die Abaya erinnere sie an den Talar, sagte die Frau ehemalige Justizministerin im profil-Interview, und das erklärt, warum so viele Richterinnen auch in ihrer Freizeit am liebsten im Talar herumlaufen: weil er praktisch und angenehm ist. Unsereine musste sich bisher mit Jogginganzügen behelfen, aber nun wissen wir, wie auch wir in den Genuss wirklich kommoder Umhüllungen kommen können – wir legen uns eine Abaya zu.

Was ist so praktisch an einem bodenlangen Mantel? Also erstens einmal wärmt er, und zwar sommers wie winters. Das mag im Sommer etwas ungewohnt sein, statistisch und im Jahresmittel jedoch sorgt er damit für eine ganzjährig komfortable Temperatur, was von kurzen Lederjäckchen nicht behauptet werden kann. Und zweitens verhindert er das eifersüchtige Ausrasten unserer testosterongesteuerten Partner, weil er unsere mehr oder weniger üppigen Formen vor den taxierenden Blicken fremder Männer verbirgt. Ich gebe zu, dass das meiner Beziehung gut getan hat, überhaupt, seit ich nicht nur meinen lockenden Leib, sondern auch Haar und Gesicht verhülle, wie es in Saudi-Arabien – wo Frau Bandion-Ortner die segensreiche Wirkung der Abaya kennengelernt hat – Brauch wie Gesetz ist, zumindest für einheimische Frauen. Gesetzlichen Zwang würde ich hierzulande nicht unbedingt befürworten, aber ich plädiere doch sehr dafür, ehrwürdige Traditionen nicht einfach zu verwerfen, nur weil sie uns fälschlich nicht zeitgemäß erscheinen. Oft haben sie einen verborgenen Sinn.

Zum Beispiel habe ich durch das Tragen der Abaya gelernt, dass ich als Frau nicht zum Autofahren geeignet bin. Als sich mein Mantelsaum im Bremspedal verhedderte und ich fast über eine rote Kreuzung geschlittert wäre, wurde mir schlagartig klar, warum die Saudis ihren Frauen fürsorglich das Lenken von Kraftfahrzeugen untersagen.

Wahrscheinlich werde ich diese Erkenntnis bei meinem nächsten Damentee zur Sprache bringen. Ich liebe Damentees. Sie sind ja praktisch überall auf der Welt gleich: gebildete, intelligente Frauen der höheren Stände finden zu angeregtem Gedankenaustausch in kultivierter Atmosphäre zusammen. Wobei ich anmerken muss, dass die Atmosphäre umso kultivierter ist, je problemloser man als Dame auf fügsame dienstbare Geister zugreifen kann, statt sich – wie oft bei uns – mit unwilligem Personal herumschlagen zu müssen, das nicht servieren will, weil es ebenfalls studiert hat.

Ich kenne die Welt. Und ich sage Ihnen, ich kenne sie von ihrer besten Seite, weil ich mich nämlich bemühe, das Positive zu sehen. Wo immer ich zu Gast bin, nehme ich nur höfliche und freundliche Menschen wahr. Ich äußere mich nicht zu Steinigungen, weil ich persönlich noch nie zu einer eingeladen war. Ich würde zwar selber keinem Dieb die Hand abhacken wollen, bringe aber ein gewisses Verständnis auf, wenn andere das als notwendig erachten. Ich habe nichts gegen Menschenrechte, nehme jedoch zur Kenntnis, dass sie noch nicht überall angekommen sind. Ich treffe meine Entscheidungen gerne selber, will aber nicht ausschließen, dass andere Frauen es vielleicht bequem finden, wenn ein netter männlicher Vormund ihnen sagt, ob sie sich am Blinddarm operieren lassen dürfen. Und wenn ein Land von einem Diktator regiert wird, dann gehe ich davon aus, dass sein Volk es so will. Akzeptanz. Toleranz. Respekt. Darauf kommt es mir an. Wer bin ich, sage ich mir, dass ich mir anmaße, es schlecht zu finden, wenn minderjährige Mädchen an alte Männer zwangsverheiratet werden? Bei uns, sage ich, muss es nicht sein, aber die dortige Gesellschaft ist vielleicht noch nicht so weit. Man soll ja als weltoffener Mensch nie davon ausgehen, dass anderen nicht zugefügt werden darf, was man selber als unerträglich empfände, weil, wer sagt, dass die anderen genauso schmerzempfindlich sind wie wir?

Sie sehen, ich bin eine talentierte Begriffeverdreherin und überlege, ob ich diese Begabung nicht zu Geld machen könnte. Für ein entsprechendes Salär stehe ich gern als Generalsekretärin eines von wem auch immer gegründeten Zentrums für verantwortungselastisches interkulturelles Beliebigkeitsgeschwafel zur Verfügung. Sagen Sie mir, was ich imagemäßig bearbeiten soll, und ich rede es schön. Sklaverei? Eine Arbeitsform für Beschäftigte mit besonderen Bedürfnissen. Menschenhandel? Sozialberuf mit kommerziellem Schwerpunkt. Atomare Bedrohung? Lächerlich, ich habe in Fukushima nur gesunde und glückliche Tamagotchis getroffen.

Alles ist machbar, alles ist möglich, vorausgesetzt, der Zaster stimmt. Und, nebenbei: bodenlange Mäntel kann man auch aus Nerz anfertigen lassen. Nie würde ich mir herausnehmen, bestimmte Materialien zu diskriminieren.

Neu: Elfriede Hammerl, „Zeitzeuge“, Roman, edition ausblick.

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