Elfriede Hammerl: Citymaut

Warum dürfen Pendler überhaupt in den Wiener Arbeitsmarkt einwandern?

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Wiens Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou schlägt eine Citymaut für Pkws vor, am liebsten wär ihr eine ab der Stadtgrenze, ansonsten eine ab dem Gürtel. Weil: Die Pendler sollen auf Öffis umsteigen. Bravo! Warum sollen denn auch Pötzleinsdorfer VillenbewohnerInnen erdulden müssen, dass sich die Häuslbauer aus Strasshof oder Trumau so mir nichts dir nichts nach Wien hineinwälzen!

Zwischenfrage: In welche Öffis soll der Häuslbauer aus Kikeritzpatschen am Gebüsch denn wo umsteigen? Weil: Keine Rede, dass es an den Stadtgrenzen ausreichend Parkgaragen und Anbindungen an den öffentlichen Verkehr gibt. Oder kennt jemand die U-Bahn-Stationen Wienerberg und Altmannsdorf? Und soll man City-Maut zahlen müssen, um sich zur vollen Park&Ride-Garage Siebenhirten stauen zu dürfen?

Egal, die Pendler sind der Feind! Was haben die eigentlich in Wien verloren? Sollen sie überhaupt in den Wiener Arbeitsmarkt einwandern dürfen? Warum wurde nicht schon längst ein Zaun respektive ein Türl mit Seitenteilen um die Wienerstadt errichtet? Die Wiener Straßen den Wiener Autofahrern! Wie sollen sie denn sonst von Margareten nach Mariahilf kommen?

Natürlich gilt es, den Individualverkehr in (Groß-)Städten einzudämmen.

Strenge Regeln sind gefragt. Zum Beispiel: Autofahren in Wien am besten nur mehr nach Nachweis von Wiener Blut in den Adern, und das mindestens in der dritten Generation! Ach so, nein, da würde ja ein Großteil der urbanen Schickeria wegfallen, alle, die rechtzeitig aus Kleingemeinden diesseits und jenseits des Arlbergs geflohen sind und seitdem das Großstadtleben erfunden haben! Warum also nicht die Fahrerlaubnis an eine, sagen wir: Karmelitermarkt-Credibility knüpfen? Nachzuweisen mittels ­Selfies, die den zertifizierten Städter/die beglaubigte ­Städterin beim veganen Frühstück, beim Indoor-Paddeln und/oder beim Urban Gardening zeigen. (Wie man Letztere dann zuverlässig von Fotos unterscheiden kann, die der Häuslbauer neben seinen transviennensisch gepflanzten Paradeisstauden geschossen hat, weiß ich freilich nicht.)

Jetzt im Ernst: Ich frage mich schon, welche Vorstellungen in Bobo-Regierungskreisen vom pendelnden Volk kursieren. Wer halbwegs vernünftig ist und die Möglichkeit dazu hat, fährt längst öffentlich zum Arbeitsplatz. Aber nicht alle haben halt die Option dazu. Sei es, weil ihr Wohnort nicht an den öffentlichen Verkehr angebunden ist, sei es, weil sie zu Tages- oder Nachtzeiten unterwegs sind, da öffentlich nichts verkehrt (oder nur in einstündigen Intervallen).

Natürlich gilt es, den Individualverkehr in den (Groß-)Städten einzudämmen. Aber das kann doch nicht bedeuten, die Städte gegen das Umland abzuschotten. Polemisch gesagt könnten eher die EinwohnerInnen der Wiener Bezirke 1 bis 9 auf ein Auto verzichten als alle jene, die außerhalb der verkehrstechnischen Komfortzonen wohnen, in denen man vors Haus tritt und die Wahl zwischen U-Bahn, Straßenbahn und verschiedenen Buslinien hat.

Stattdessen werden Pläne gegen die bösen Eindringlinge aus dem Umland gewälzt, die zu Hauptschuldigen an Staus und CO2-Belastung erklärt werden. Es entsteht der Eindruck, dass es Pendler aus Leichtsinn verabsäumt haben, sich Wohnungseigentum innerhalb der Stadtgrenzen zu verschaffen, und dass sie sich aus purer Bosheit täglich in ihren stinkenden Vehikeln über den Gürtel schieben.

Können wir vielleicht einmal die Realität ins Auge fassen? Menschen wohnen zum Beispiel außerhalb der Stadt, weil Wohnraum innerhalb teuer ist und sie ihn sich nicht leisten können. Oder weil sie sich außerhalb mehr Wohnraum leisten können, was entscheidend ist, wenn sie eine Familie gründen, für die ihr bisheriges Single-Appartement zu klein wäre.

Oder weil sie in Kikeritzpatschen ein Häusl geerbt haben. Oder weil in Kikeritzpatschen auch ihre alten Eltern wohnen, um die sie sich kümmern. Und sie pendeln nach Wien zur Arbeit, weil es in Kikeritzpatschen keine adäquate Arbeit für sie gibt. Und weil sie das, was sie tun, auch nicht elektronisch aus dem Home Office erledigen können. Manchmal haben sie kaum Möglichkeiten, öffentlich an ihren Arbeitsplatz zu gelangen. Manchmal könnten sie ihren Arbeitsplatz öffentlich erreichen, aber nur, wenn sie es in Kauf nähmen, rund vier Stunden täglich mit Bahn und Bus unterwegs zu sein.

Taugen die alle zum Feindbild? Beziehungsweise reicht es, sie dazu zu erklären, um Verkehrsprobleme nachhaltig zu lösen? Nochmals: Den Umstieg auf Öffis zu fördern, ist okay. Aber diese Wir-Wiener-zuerst!-Haltung, die nervt. Und immer schwingt in der verkehrspolitischen Debatte ein Unterton von Klassenkampf mit: aufgeklärte radfahrende Schickeria versus dumpfe Hackler, die sich vom Götzen Auto nicht lösen können.

Verlängert die U-Bahnen ein gutes Stück über die Stadtgrenzen hinaus, klimatisiert sie, und ihr werdet staunen, wie schnell die Häuslbauer im Umland den Götzen Auto stehenlassen, wenn sie wienwärts fahren.

Klar ist freilich, dass die Kosten für eine gesteigerte Attraktivität öffentlicher Verkehrsmittel nicht an Wien hängenbleiben dürfen. Aber diesbezügliche Streitigkeiten auf dem Rücken der Pendler auszutragen, ist unfair.