Elfriede Hammerl: Computerspiele

Elfriede Hammerl: Computerspiele

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„Der Spieler kann verschiedene Missionen innerhalb der Haupthandlung des Spiels annehmen. Diese werden in der Regel mit der Hilfe von Waffen und Fahrzeugen gelöst und beinhalten unter anderem Kurierfahrten, das Verfolgen, Einschüchtern und Ausschalten von Gegnern, Autodiebstahl, das Zerstören von Fahrzeugen, Attentate …“

Fahrzeuge können zusätzlich in den meisten Spielen der Serie mit einer Bombe ausgestattet werden. Zudem ist es möglich, mit Fahrzeugen sogenannte Drive-by-Shootings, also das Schießen aus dem fahrenden Auto, durchzuführen.“

„Rampages (Amokläufe) können an bestimmten Orten gestartet werden. Der Spieler muss dann innerhalb einer vorgegebenen Zeit mit einer festgelegten Waffe eine bestimmte Anzahl von rivalisierenden Gangmitgliedern töten.“ Zitate aus der Wikipedia-Beschreibung des Computerspiels „Grand Theft Auto“, kurz GTA. „Spiegel Online“ dazu: „Für manche Spieler ist es ein anarchischer Spaß, nicht etwa seinen Spielaufträgen zu folgen, sondern Passanten zu überfahren …“

Es gibt eine mörderische Parallelwelt, in der die Friedfertigen keine Chance haben

Das weckt unbehagliche Assoziationen. Die Jugendlichen in meinem Umfeld fühlten sich jedenfalls sofort an das Spiel erinnert, als sie von der Grazer Amokfahrt erfuhren. Natürlich wäre es zu simpel, eine reale Wahnsinnstat wie die in Graz eins zu eins der virtuellen Welt von Videogames anzulasten, wo nur der im Spiel bleibt, der skrupellos in Menschenmengen rast, verletzt, tötet und foltert. Aber trotzdem stellt sich die Frage, was es langfristig bewirkt, wenn Menschen regelmäßig in simulierte Realitäten abtauchen, in denen es üblich, ja nötig ist, das Leben anderer gering zu schätzen, Persönlichkeitsrechte zu missachten, Gesetze zu brechen und moralische Bedenken gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Nicht, dass es in der realen Welt besonders moralisch zuginge. Aber immerhin haben die Zehn Gebote noch eine gewisse Gültigkeit – wenigstens offiziell wird nicht ihr Gegenteil verkündet. In vielen Computerspielen lautet das erste Gebot hingegen: Du sollst töten.

Als pervertierten amerikanischen Traum beschrieb Christian Stöcker in „Spiegel Online“ GTA, das Spiel, dessen Ziel es sei, „mit Autodiebstahl, Auftragsmorden und gelegentlichen Botengängen vom Nobody an die Spitze der Unterwelt einer Großstadt aufzusteigen“.

Sollte man hinter dieser Aufgabenstellung am Ende Gesellschaftskritik vermuten? Manche sagen Ja. Andere sprechen gar von Satire. Doch die Art und Weise, wie das Spiel rezipiert wird, lässt befürchten, dass die kritische Botschaft, so sie intendiert sein sollte, nicht ankommt. In der Zeitung „Die Welt“ zum Beispiel findet sich eine geradezu hymnische Besprechung der Version fünf von GTA, in der, so der Rezensent Benedikt Fuest, „geschätzt über 500 Morde, Überfälle, Diebstähle und Abenteuer auf den Spieler warten“: „Langsam legt sich das rote Licht der untergehenden Sonne über den Highway Nummer 68. (…) Mit Franklin am Steuer schlängele ich in einem verdächtig nach Aston Martin aussehenden Roadster durch den Feierabendverkehr in Richtung Küste. (…) Gut, der Wagen ist gestohlen, hinter mir versuchen zwei, drei Polizeiwagen aufzuholen, und Franklin ist ein gesuchter Bankräuber, aber was soll’s: Hier und jetzt ist der Moment perfekt. (…) Genau solche Momente sind es, die das neue ,Grand Theft Auto V‘ so faszinierend, so groß, so außergewöhnlich machen.“

Bei so viel romantischer Begeisterung für eine Szenerie, in der Mord und Überfall angesagt sind, fällt es irgendwie schwer, an ein aufklärerisches Potenzial des Spiels zu glauben.

Grundsätzlich ist die Wissenschaft ja uneins, ob spielerische Gewaltausübung Aggressionen fördert oder im Endeffekt reduziert. Tatsache ist allerdings, dass Spieler (oder Spielerinnen, aber die Gamer-Szene ist männlich dominiert) eventuell vorhandene Hemmschwellen abbauen müssen, wenn sie nicht aus dem Spiel fliegen wollen. Auf der Website BR Puls des Bayerischen Rundfunks beschreibt Kolumnist Franz Liebl, wie GTA V ihn zwingt, einen Mann zu foltern: „Ich muss dem vor Todesangst wimmernden Gefangenen mit einer Rohrzange die Kniescheiben zerschlagen, ich muss Strom an seine Brustwarzen anlegen, ich muss seine Zähne mit einer Zange ziehen und ich muss ihn waterboarden.“ Und er fragt sich: „Sieht so eine kritische Auseinandersetzung mit Folter im Medium Videospiel aus (…)? Und werden die Spieler wirklich auf einmal Abscheu gegen Folter empfinden, wenn ihnen der Rest des Videospiels ständig ein gutes Gefühl vermittelt beim Schießen und Prügeln und dem ganzen Gang­sta-Scheiß?“

Berechtigte Frage. Ebenso berechtigt wie die Befürchtung, dass Einübungen in Grausamkeit und das Antrainieren von gewissenloser Brutalität nicht bloß den virtuellen Charakter eines Menschen deformieren, schon gar, wenn der an und für sich nicht zum Reflektieren neigt.

Klar, Videospieler werden nicht zwangsläufig zu Killern und Amokfahrern. Aber bei Überlegungen zur Gewaltprävention darf wahrscheinlich nicht mehr außer Acht gelassen werden, dass es neben der realen mittlerweile auch eine ziemlich mörderische Parallelwelt gibt, in der die Friedfertigen keine Chance haben.