Elfriede Hammerl: Die gute Oma

Elfriede Hammerl: Die gute Oma

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Da lese ich dieses Interview mit dieser erfolgreichen Frau mittleren Alters, in einer Topposition ist sie, zwei fast erwachsene Kinder hat sie, und was erzählt sie? Ohne ihre Mutter, erzählt sie, wäre ihre beeindruckende Karriere nicht möglich gewesen. Gleich nach der Geburt ihres ersten Kindes sei ihre Mama ganztags zur Verfügung gestanden, und das habe sich bis heute nicht geändert. Die Mama kümmert sich um die Kinder, schupft den Haushalt und hält der Tochter (sowie dem Schwiegersohn) den Rücken frei. Die Mama war nicht nur eine gute Mama, sie ist auch eine gute Oma. Danke, Oma!

Warum überkommt mich beim Lesen dieses Interviews keine Rührung? Warum fallen mir stattdessen so hässliche Worte wie lebenslange Leibeigenschaft und auf ewig unterm Joch ein? Warum frage ich mich: Nimmt denn das nie ein Ende, diese Erwartung, dass wir uns nur als Dienstleisterinnen für die Familie verwirklichen wollen? Zuerst sollten wir unsere eigenen Bedürfnisse den Kindern zuliebe selbstverständlich an den Nagel hängen, und jetzt sollen wir sie vergessen, um ganz für die Enkel da zu sein. Wie kommt das?

Mit wir meine ich meine Generation, die der Großmütter eben. Dass junge Mütter nicht ausschließlich Mütter sein möchten, das ist inzwischen irgendwie ins gesellschaftliche Bewusstsein eingesickert. Man versteht, dass sie im Windelwechseln keine erfüllende Tätigkeit sehen und die Konversation mit Zweijährigen gelegentlich als intellektuell unterfordernd empfinden. Man hat begriffen, dass es wichtig für sie ist, ihr eigenes Geld zu verdienen. Man akzeptiert, dass sie Mutterschaft mit einem Beruf vereinbaren wollen. Man gesteht ihnen einen Anspruch auf ein eigenes Leben zu.

Damit sie es aber auch führen können, sollen Großmütter fehlende Rahmenbedingungen kompensieren. Die selbstlose Mutter ist out, die nimmermüde Oma gefragter denn je. Früher hatten Karrieremänner eine gute Gattin, die ihnen den Rücken frei hielt fürs Berufliche, jetzt haben Karrierepaare, wenn sie Glück haben, eine gute Oma, die ihnen das Häusliche abnimmt und zur Stelle ist, wenn der Kindergarten Ferien macht, die Schule keine Nachmittagsbetreuung anbietet, die Enkel Halsweh kriegen.

Omas, die nicht sogleich zur Stelle sein können oder möchten, sind, könnte man meinen, von der Natur nicht vorgesehen. Denn auch Frauen, die schon ein Berufsleben lang gezeigt haben, dass es ihnen wichtig ist, ihr eigenes Geld zu verdienen, intellektuell gefordert zu werden und teilzunehmen am öffentlichen Diskurs, werden als frischgebackene Großmütter von ihrer Umwelt mit der Vermutung konfrontiert, dass sie sich ab jetzt doch sicherlich nur noch auf die Enkerln konzentrieren wollen. Nein? Warum nicht? Haben sie denn noch nicht genug erlebt? Was wollen sie denn noch alles erreichen?

Wenn Opa ein wichtiges Amt annimmt, ist das okay. Oma hingegen soll sich lieber der Herausforderung stellen, eine gute Oma zu sein.

Und schon kriegt eine, die vorgehabt hat, weiter im Beruf zu bleiben oder zu studieren oder sich in einer NGO zu engagieren, ein schlechtes Gewissen und fühlt sich abartig, weil sie daran gedacht hat, endlich einmal durch Südostasien zu reisen, statt ihren Kindern als Kombi aus Kinderfrau und Haushälterin – Dienstbotenmodell zaristisches Russland – zur Verfügung zu stehen.

So geht Konditionierung. Da kann sich die Betroffene hundertmal vorsagen, dass es verdammt noch einmal ihr gutes Recht sein müsste, sich den einen oder anderen Lebenstraum zu erfüllen, bevor es zu spät dazu ist (denn bald wird es zu spät dazu sein) – die Selbstzweifel und Schuldgefühle bleiben. Wenn Opa ein gewichtiges (Ehren-)Amt annimmt, ist das okay, schließlich kann man nicht erwarten, dass er auf eine interessante Herausforderung verzichtet, nur weil er Opa ist. Oma hingegen soll sich lieber der Herausforderung stellen, eine gute Oma zu sein.

Regretting Motherhood – unter diesem Hashtag kam vor Kurzem eine Debatte in Gang, die thematisierte, dass es Mütter gibt, die ihre Mutterschaft bedauern (profil berichtete darüber). In seltenen Fällen steckt hinter dem Bedauern die Erkenntnis einer grundsätzlichen Fehlentscheidung, häufiger Wut auf das ständige Konditioniertwerden zur guten Mutter, wie sie das zeitgemäße Klischee be- und vorschreibt. Es ist nämlich nicht gar so viel weitergegangen. Auch die jungen Frauen haben mit Rollenerwartungen zu kämpfen, die ihnen ein Leben neben der Mutterschaft zwar nicht absprechen, aber schwer machen. Ich fühle mit ihnen. Trotzdem wehre ich mich dagegen, dass die Omas herhalten müssen, wenn realisiert werden soll, was ihnen theoretisch zugestanden wird.

Zur Klarstellung: Es geht nicht darum, die Enkel links liegen zu lassen und die Großmutterrolle in Bausch und Bogen abzulehnen. Aber es geht sehr wohl darum, sie nicht als nahtlose Fortsetzung einer Rund-um-die-Uhr-Verantwortung zu definieren. Omas sollen mit ihren Enkeln spielen und singen, in den Zoo und ins Kindertheater gehen, sich mit ihnen schmücken und sich an ihnen freuen.

Aber den mühsamen Alltag sollen sie als abgehakt betrachten dürfen. Den hatten sie in den meisten Fällen lang genug.