Elfriede Hammerl

Elfriede Hammerl Erbtante

Erbtante

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„Wenn dann noch die Erbtante zu Besuch kommt, muss es daheim eben was gleichschauen, ganz gleich, wie verdient die Feiertagsruhe der Mistkübler sein mag. Man stelle sich nur vor: Die Pensionssicherung ist im Anmarsch, während ihre originellen Gaben (…) mit unübersehbarer Koketterie aus dem Container schauen.“ Dieser launige Text erschien kürzlich auf Seite eins einer österreichischen Tageszeitung1. Unter dem Titel „Müll und Erbe“ wurde darin erklärt, ­warum das Funktionieren der Müllabfuhr zu den Weihnachtsfeiertagen so wichtig ist: damit, siehe oben, die Erbtante nicht merkt, wo ihre Geschenke gelandet sind.

Der Autor hat sich sicherlich nichts dabei gedacht. Außer vielleicht das: Erbtanten sind keine Menschen, sondern eine wandelnde Pensionssicherung, deren Geschenke auf den Mist gehören. Schließlich kommen sie von einer, die – hätte sie nichts zum Vererben – ebenfalls entsorgt werden müsste (emotional ist sie offenbar eh schon abgeschrieben).

Mit einem solchen Gedankengang stünde er jedenfalls nicht allein da. Alte Tanten (und Erbtanten sind alt, weil man sonst nicht damit rechnen könnte, dass man sie überlebt und beerbt) sind traditionell eine Zielscheibe für grausamen Spott.

Erbtanten sind Witzfiguren. Sie sind lächerlich. Sie sind verachtenswert. Verachtet werden sie aus folgenden Gründen: Sie sind alt. Sie sind Frauen. Sie sind alleinstehend. Sie haben sich nicht fortgepflanzt. Alle diese Merkmale sind scheints bis heute Grund genug, sie als Missgriff der Natur zu betrachten. Missgriff auch deswegen, weil sie ärgerlicherweise über Geld verfügen, das alten, allein lebenden Frauen eigentlich nicht zusteht, sondern bei feschen jungen fortpflanzungswilligen Menschen viel besser aufgehoben wäre. (Na ja, vielleicht nicht aufgehoben. Sondern von feschen etc. Menschen besser ausgegeben. Wie auch immer.) Die Verachtung, die man Erbtanten entgegenbringt, ist also zum Teil auch vom Ärger darüber diktiert, dass sie Geld haben, das erst nach ihrem Ableben verfügbar sein wird, vom Ärger darüber, dass es dereinst vielleicht doch nicht geerbt wird, wenn man der Erbtante die Verachtung zeigt, die man für sie empfindet, und vom Ärger darüber, dass die Alte nicht und nicht abkratzen will.
So schaut das Verhältnis zur Erbtante aus.

Und weil sie so verachtenswert und ärgererregend ist, die Erbtante, ist es moralisch nicht nur zulässig, sondern ­geradezu geboten, ihr gegenüber zu heucheln und zu lügen, ihr eine Wertschätzung vorzuspielen, an die niemand glaubt (vermutlich nicht einmal sie selber), und sie dadurch noch einmal zum Gespött der Umgebung zu machen, weil sie in dem heuchlerischen Schauspiel die Rolle der ahnungslosen Idiotin zu spielen hat, auch wenn sie es durchschaut.

Zugegeben: Die Karikatur der Erbtante, so wie man sie automatisch vor Augen hat, wenn das Stichwort fällt – eine lächerlich gewandete Schabracke mit gebieterischem Auftreten –, ist vielleicht ein wenig unzeitgemäß, aber im moderneren Styling gibt es sie nach wie vor, die gut verdienende Junggesellin mittleren Alters beispielsweise, deren Neffen und Nichten erwarten, dass Tantchen die Spendierhosen anhat, wenn man sie kontaktiert, und die durchaus damit spekulieren, dass sie ihr Gerschtl Gott behüte nicht unnötig mit flotten Liebhabern verjuxt, ehe sie den Löffel abgibt.

Ja, schon klar, es gibt auch (Erb-)Tanten, die geliebt und geschätzt werden. Und natürlich spricht im Prinzip nichts dagegen, liebenswerten Nichten und Neffen finanziell unter die Arme zu greifen, wenn man dazu in der Lage ist. Aber die Selbstverständlichkeit, mit der jüngere Menschen oft das physische Ablaufdatum älterer Angehöriger in ihre ökonomischen Überlegungen einbeziehen, die irritiert. Wenn das Haus von der Tante Rosa einmal uns gehört … Leuchtenden Blicks dahingesagt, zukunftsfroh.

Wenn das Haus von der Tante Rosa einmal euch gehört, liebe Leute, dann ist die Tante Rosa tot. Te-o-te. Ist euch das bewusst? Und falls ja, ist es euch wurscht? Und falls ja, warum? Weil die Tante Rosa bloß eine potenzielle Geldquelle auf zwei Haxen ist, die erst genützt werden kann, sobald sie die Haxen streckt?

Ach, ihr Erbtanten alle, überlegt euch gut, wofür ihr euch entscheidet, fürs Vererben oder fürs Verjuxen! Verjuxen ist nicht die übelste Option, eine schlechte Nachred’ habt ihr sowieso.

2.
„Mir ist ein echter sexueller Übergriff Gott sei Dank erspart geblieben, weil dieser religiöse Leiter (…) bei mir dann doch so einen Widerstand gespürt hat. Da hat er dann von mir lassen.“ Society-Reporter Dominic Heinzl im profil-Interview2 über seine Schulzeit im berüchtigten Hollabrunner Knabenseminar.

Eine fragwürdige Behauptung. Denn was sagt sie aus? Wer nur ausreichend dagegen ist, wird schon nicht sexuell misshandelt? Alle Opfer sexueller Übergriffe haben eben nicht genügend Widerstand geleistet? Die Ansicht, dass Vergewaltigung eine Folge mangelnder Gegenwehr sei, war lange Zeit weit verbreitet und hat dazu geführt, dass nicht der Täter, sondern das Opfer verurteilt wurde, auch vor Gericht. Hat sich halt nicht ordentlich gesträubt. Kein Wunder, dass der Vergewaltiger geglaubt hat, es ist einverstanden.

Mittlerweile weiß man es besser. Verschont worden zu sein beruht auf Glück, nicht auf tugendhafter Abwehr. Und wer Glück hatte, sollte einfach nur froh darüber sein, statt sich seiner Stärke zu rühmen.

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