Elfriede Hammerl

Elfriede Hammerl Erkenntnisbaum

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44 Jahre profil. Als Leserin war ich von Anfang an dabei. Als Schreiberin wäre ich fast von Anfang an dabei gewesen, bin aber erst (erst, ha!) vor 30 Jahren an Bord gegangen. Na bitte: eine runde Zahl.

Ich erinnere mich noch gut, wie P. M. Lingens, damals, anno 1970, in mein „Kurier“-Kammerl gestapft kam und mich fragte, ob ich mitmachen wolle beim neuen Magazin. Wow, und wie ich gewollt hätte! Aber, andererseits – ich war gerade einmal seit drei Wochen beim „Kurier“, neu, doch mit eigener Kolumne, da schien es mir überstürzt und irgendwie nicht anständig, gleich wieder zu kündigen. Bin ich also 14 Jahre später dazugestoßen – und bis heute glücklich, dazuzugehören. Ehrlich. Weil ich mich noch nie verbiegen, einer Blattlinie beugen, meine Ansichten zurechtschminken musste, um Spekulationen über die Erwartungen eines potenziellen Publikums zu genügen.

Natürlich könnte ich jetzt beteuern, dass ich mich sowieso nie beugen würde, und vielleicht wär’s ja auch so, aber sich nicht beugen zu müssen und dabei einen Job zu haben, den frau gerne macht, das ist schon eine ziemlich gute Sache und um einiges besser als heldinnenhafter Untergang.
Wie war sie denn, die Prä-profil-Ära? Ich erinnere mich nur undeutlich, dabei sollte doch in meinem Alter das Langzeitgedächtnis dominieren, aber wahrscheinlich hab ich sie verdrängt, die profillose Zeit und den Mief der frühen bis mittleren 1960er-Jahre, die ja, gesellschaftspolitisch gesehen, keineswegs so schick und keck waren, wie uns die Bilder von den Courrèges- und Mary-Quant-Kleidchen heute vorgaukeln.

1970, als profil gegründet wurde, herrschte indes schon Aufbruchstimmung. In Paris und Westberlin waren die Studierenden auf die Barrikaden gestiegen, London war im Swing-Modus, und hierzulande entschloss sich die Mehrheit der WählerInnen, ein Stück des Weges mit Bruno Kreisky und der SPÖ zu gehen. Kreiskys Deal mit der FPÖ war dann ein Sündenfall, aber das Wahlergebnis signalisierte ein verändertes gesellschaftliches Klima, eine Absage an starre Hierarchien und blinde Autoritätsgläubigkeit. Na ja, eine moderate Absage, zugegeben. Denn der Erfolg des souverän auftretenden Übervaters und Großbürgers Kreisky verdankte sich letztlich doch wieder dem Respekt vor der Führungspersönlichkeit aus gehobener Gesellschaftsschicht, aber was er mit sich brachte, war, schlicht gesagt, ein deutliches Plus an sozialer Gerechtigkeit. Allein die Einführung der SchülerInnenfreifahrt war eine bedeutende Weichenstellung, vor allem für Kinder auf dem Land, die zuvor nicht einmal die Chance auf einen Hauptschulbesuch gehabt hatten (vom Gymnasium ganz zu schweigen), weil die tägliche Fahrt mit dem Postautobus zu teuer für sie gewesen wäre. Und, ja, die Frauen! Kreisky nahm ihren Unmut über das Patriarchat und ihr Einfordern gerechter Rollenbilder ernst, unter seiner Regierung wurde das Familienrecht entstaubt und die erste Staatssekretärin für Frauenpolitik installiert.

Aufbruch und Wandel also. Und mittendrin profil als neues Medium, das sich mehr traute und mehr wusste als andere. Bis heute wird es zu Recht wegen seiner Aufdeckerqualitäten und -verdienste geschätzt, aber darüber hinaus brachte es eine Dimension ins Spiel, die es vorher auf dem heimischen Zeitungsmarkt so nicht gegeben hatte, zumindest nicht als durchgängiges Prinzip: die kritische Aus­einandersetzung mit dem Zeitgeist, die dem Politischen im Privaten nachspürt, und um­gekehrt, das Entdecken der Geschichte hinter der Geschichte. profil verstehe sich als österreichischer „Spiegel“, wurde anfangs gern gesagt (auch mit herablassend ironischem Unterton, weil in einer Branche der Selbstdarsteller über die Ambitionen der jeweils anderen immer gespöttelt wird), aber der Vergleich greift schon deswegen nicht, weil profil seine MitarbeiterInnen nie zu einer journalistischen Einheitssprache vergattert hat. Hier erschienen (und erscheinen) immer wieder Texte, die stilistisch eigene – literarische – Wege gehen dürfen.

Zu viel Lobhudelei? Ach, was, natürlich geh ich oft genug in die Luft bei der Lektüre dieses meines Blattes, aber insgesamt bin ich doch sehr froh, dass es seit 44 Jahren die heimische Szene aufmischt. Das darf sein.

Aber warum ein 44er-Jubiläum? Die Zahlenmystik bietet zur Zahl vier einiges an: vier Himmelsrichtungen, vier Elemente, vier Temperamente, vier Ursünden, vier Kardinaltugenden. Also, die Ursünden passen in gewisser Weise, denn Sündenfall, Brudermord, Sintflut und Turmbau gehören ja zu den klassischen Berichterstattungsgebieten des Journalismus. Himmelsrichtungen und Temperamente sind auch ganz gut, selbstverständlich wollen wir im Osten wie im Westen und vom Choleriker wie von der Sanguinikerin gelesen werden (wobei Phlegmatiker und Melancholikerin wahrscheinlich die größere Herausforderung darstellen). Und über die Kardinaltugenden (Klugheit, Tapferkeit, Gerechtigkeit, Mäßigung) verfügen wir hoffentlich, wenn auch möglicherweise manchmal nur gemäßigt. Aber am schönsten ist doch die Bedeutung des Vierers in der ­biblischen Numerologie: Baum der Erkenntnis. Ja, den feiern wir. Der gehört zu uns, ganz klar.

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