Elfriede Hammerl: Gewalt und Schutz

Die Gefährlichkeit eines Täters einzuschätzen, muss gelernt werden.

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Der Mann erschlägt zuerst seine Ehefrau, danach erschießt er seine Freundin. Dazwischen findet er Zeit für ein Bier. Er ist als Gewalttäter polizeibekannt, mehrfach wurde er weggewiesen aus seinem ehelichen Heim. Es war ihm egal. Nach der Bluttat sagen Nachbarn in Interviews, seine Frau sei halt zu gut gewesen, immer wieder habe sie ihn aufgenommen. Die klassische Rollenumkehr: Das Opfer ist schuld.

Das Opfer ist schuld, weil es zu gut war zum Mann. Das Opfer ist schuld,weil es zu grantig war zum Mann. Das Opfer ist schuld, weil es den gewalttätigen Mann verlassen wollte. Das Opfer ist schuld, weil es den gewalttätigen Mann nicht verlassen hat. Das Opfer war immer „zu“, zu viel, zu wenig, und diese Unfähigkeit des Opfers, das richtige Maß zu treffen, hat erst die maßlose Reaktion des Gewalttäters provoziert. So suggerieren es Umfeld, Medien und die Kuchlpsychologie.

Können wir endlich aufhören mit diesem Unsinn? Nein, nicht das Opfer ist verantwortlich für den Schutz seines Lebens! Nicht das Opfer muss die Initiative ergreifen, um den Gewalttäter an Gewalttaten zu hindern. Dazu sind die staatlichen Institutionen da – sie müssen Gewalt aktiv verhindern und nicht bloß erst dann amtshandeln,wenn es zu spät ist! Müssten. Konjunktiv. Denn tatsächlich ist der staatliche Schutz von Frauen vor Gefährdern und Gewalttätern leider mangelhaft. Polizei und Justiz reagieren zwar auf einzelne Vorkommnisse, aber was fehlt, ist ein Masterplan dahinter, klagen die Mitarbeiterinnen von Gewaltschutzeinrichtungen. Jeder Fall wird als Einzelfall behandelt, als mehr oder weniger überraschendes Ausnahmeereignis statt als systematisch zu untersuchendes, weil immer wiederkehrendes gesellschaftliches Phänomen. Dazu kommen Personalmangel und unzureichende technische Ausstattung der Behörden, weswegen Vorfälle oft schleppend gemeldet und nur lückenhaft weitergeleitet werden können.

Schnelle Online-Konferenzen wären nötig, sagt Rosa Logar, die Leiterin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie, damit rasch entschieden werden kann, ob ein Gefährder in U-Haft genommen werden muss oder nicht. Denn Wegweisung, Betretungs- und Annäherungsverbot sind zwar gute Maßnahmen, aber nicht immer reichen sie aus, um einen Gewalttäter in Schach zu halten.

Die sogenannten MARAC-Konferenzen, bei denen Polizei, Justiz und Gewaltschutzeinrichtungen beratschlagen, wie in besonders gefährlichen Fällen vorgegangen werden soll, wurden unter Türkis-Blau abgeschafft und unter Türkis-Grün zwar wieder eingeführt, allerdings mit der Änderung, dass sie jetzt ausschließlich von der Polizei einberufen werden können. Seitdem finden sie nur noch selten statt. Eine einzige gab es heuer bisher in Wien, während es früher an die 40 Fälle waren, die im gleichen Zeitraum behandelt wurden.

Das hat möglicherweise damit zu tun, dass die Polizei in Sachen Gefährlichkeitseinschätzung nicht über die Ausbildung und Erfahrung von GewaltschutzexpertInnen verfügt. Gewaltschutz gehört zwar zur Grundschulung von PolizistInnen, ist aber in der weiteren Ausbildung kein Thema mehr und schon gar kein inhaltlicher Schwerpunkt. Um die Brisanz einer Situation zu erkennen, braucht es jedoch Hintergrundwissen beziehungsweise entsprechendes Nachfragen. Vordergründig hat der Ehemann der Frau, die aufgeregt zur Polizei kommt, vielleicht „nur“ gedroht, sie „fertigzumachen“, wenn sie nicht bei ihm bleibt, was man auch als bloße Übertreibung während eines Streits einstufen könnte. Bei näherem Hinsehen stellt sich aber möglicherweise heraus, dass es eine Vorgeschichte gibt, die Anlass zu ernster Sorge bietet. Wie man näher hinschaut, was man in einem solchen Fall fragen und herausfinden muss, das gehört gelernt, und Lernen heißt nicht, das Thema nach einmaliger Behandlung abhaken zu können.

Gern wird nach strenger Bestrafung für Gewalttäter gerufen, und ja, selbstverständlich sollen sie streng bestraft werden. Aber zur Prävention taugen Strafen nicht. Am allerwichtigsten ist die Verhinderung von Gewalttaten. Dazu braucht es Schutzeinrichtungen, geschulte Sicherheitskräfte und Sozialarbeit unterschiedlicher Art, auch die sogenannte Männerarbeit, die Männern klar macht, dass Gewaltbereitschaft kein Merkmal bewunderungswürdiger Virilität ist. Die öffentliche Erschütterung, die PolitikerInnen zeigen, wenn wieder einmal eine Frau mehr oder weniger brutal zu Tode kommt, bleibt Heuchelei, solange an den Ausgaben für eine umfassende Gewaltprävention gespart wird.

Kürzlich, eine Jubelmeldung: Endlich, endlich soll es auch ein Frauenhaus im Tiroler Oberland geben! Die Freude verwundert insofern, als man eigentlich angenommen hätte, dass ein solches längst existiert. Immerhin umfasst das Oberland zwei Bezirke, nämlich Imst und Landeck, also kein kleines Gebiet. Aber zäh hat sich die ÖVP bisher gegen eine derartige Zuflucht gewehrt, man kann sich die Argumente vorstellen. Erstens: Im heiligen (Ober-)Land Tirol gibt’s keine Gewalt. Und zweitens: Wenn doch, dann nur gegen widerwärtige Luder. Doch jetzt, wie gesagt, Frauenhaus in Sicht. Gut. Aber kein Jubel. Denn: Mander, es war Zeit.

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