Elfriede Hammerl: Glück und Zufall

Elfriede Hammerl: Glück und Zufall

Elfriede Hammerl: Glück und Zufall

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Wir können nicht alle aufnehmen. Keine Wirtschaftsflüchtlinge! Die nicht. Es geht nicht anders.

Wir: ein paar Millionen, die es gut getroffen haben. Die: viele Millionen, die es schlecht getroffen haben.

Wir haben es gut getroffen, weil wir Glück hatten. Ja, wir sind nicht faul, wir sind nicht unanständig, wir tragen was bei dazu, dass es uns geht, wie es uns geht, aber wir hatten auch Glück. Wir haben uns ein gutes Leben verdient. Haben wir? Wo steht, dass unser gutes Leben die uns zustehende Belohnung für unsere Verdienste ist? Die haben es schlecht getroffen, weil sie Pech hatten. Falscher Geburtsort. Die arbeiten auch, die wollen auch nicht faul sein, die sind auch nicht unanständig, aber sie haben Pech. Die hätten sich auch ein gutes Leben verdient. Wo steht, dass ihr schlechtes Leben das ist, was ihnen zusteht?

Die haben die Rohstoffe, wir nützen sie. Die arbeiten billig, wir nützen es aus. Nicht wir persönlich nützen sie aus. Wir können doch nichts dafür, dass die Welt so ist, wie sie ist. Können die was dafür?

Was gibt uns die Berechtigung, hier zu sein und sie abzuwehren? Die könnten uns überrollen, wenn sie wollten. Davor fürchten wir uns. Wir fürchten uns vor ihnen, weil wir wissen, dass wir im Grunde keinen Anspruch darauf haben, nicht überrollt zu werden. Wir wissen, dass uns im Grunde nicht mehr zusteht als ihnen, schon gar nicht so viel mehr.

Trotzdem. Wir wollen ja gar nicht unbedingt viel mehr als sie. Wir wollen bloß behalten, was wir haben. Deshalb reden wir uns die Ungerechtigkeit gerecht.

Wir haben unser gutes Leben verdient, sagen wir. Die haben Fehler gemacht. Die machen Fehler, nach wie vor. Hätten sie doch. Würden sie doch nicht. Würden sie doch nicht zulassen, dass.

Als würden wir, jeder und jede einzelne von uns, die Verhältnisse hier steuern. Als hätten wir ein gutes Leben, weil wir ein schlechtes schlicht nicht zugelassen haben.

Nein, wir sind nicht schuld an der Ungerechtigkeit in der Welt. Nur einige treiben die Kluft zwischen denen, die was haben, und denen, die nichts haben, immer weiter auseinander und sorgen dafür, dass ein paar wenige sehr viel haben, mehr als alle anderen zusammen. Einige können den Hals nicht voll genug kriegen. Nein, nicht ­einige von uns. Wir gehören nicht zu denen. Wir sind nicht die einigen wenigen, und wir sind nicht die vielen vielen. Wir sind irgendwo dazwischen. Zerrieben, wenn es so weitergeht. Jedenfalls kommt es uns so vor.

Wir würden ja für mehr Gerechtigkeit sorgen, wenn wir könnten. Aber so weit reicht unsere Macht nicht. Obwohl wir die Macht und die Kraft hatten, ein schlechteres Leben für uns nicht zugelassen zu haben – angeblich –, können wir kein gutes Leben für die bewirken.

Nein, stimmt nicht, wir tragen ja eh bei zu einem besseren Leben für die, so gut es eben geht. So gut es geht, tragen wir eine Schuld ab, die wir gar nicht haben. So gut es geht heißt: Es geht halt mehr schlecht als recht. Wir bemühen uns ohnehin. Solange sie uns in Ruhe lassen. Das ist ja auch verständlich. Es ist verständlich, dass wir unseren Frieden wollen. Verständlicherweise möchten wir davon ausgehen, dass wir uns unseren Frieden verdient haben.

Wir wollen ja genau genommen nichts, was wir nicht ­verdient haben. Darum ist uns so unbehaglich bei der Vorstellung, unser Glück sei unverdient. Darum bestehen wir darauf, dass es verdient ist.

Wir haben ja auch nur dieses eine Leben. Ehe wir uns versehen, ist es dahin. Das möchten wir nicht, und das ist unser gutes Recht. Man kann das ruhig so sehen: Der Mensch hat ein Recht darauf, sein einziges Leben so gut wie möglich zu verbringen. Man könnte sagen, das ist ein Menschenrecht. Mit dem Unterschied, dass die einen diesen Rechtsanspruch einlösen können, die anderen aber nicht. Wo steht, dass das zu Recht so ist?

So viele Tote. Man kann sich das gar nicht vorstellen. Man mag sich das gar nicht vorstellen. Es wird ja auch nicht besser davon, dass man es sich vorstellt. Es wird ja auch nicht schlechter davon, dass man es sich nicht vorstellt. Es tut denen doch nicht weh, wenn wir unser einziges Leben so gut wie möglich weiterleben. Es tut uns aber weh, wenn wir nicht verdrängen, dass deren einzige Leben im Mittelmeer ertrunken sind.

Wenn sie ihr Leben verlieren, weil sie an Leib und Leben durch Kriegshandlungen bedroht waren – das ist einsehbar. Aber Flucht vor Hunger, das ist zu wenig. Sollen sie halt Kuchen backen!

Das Mittelmeer. Die Feriensehnsucht unserer Kindheit und Jugend. Wir mögen uns unser Mittelmeer nicht als Massengrab vorstellen. Wir sind nicht so borniert, von denen zu verlangen, dass sie unser Mittelmeer nicht durch ihren Tod schänden sollen, aber dagegen, dass wir unser Mittelmeer als geschändet empfinden, können wir leider nichts machen.

Manche von uns sind in der glücklichen Lage, das, was sie unterlassen, als richtig zu empfinden. Das muss komfortabel sein. Zu fühlen, dass es eine Lösung ist, denen zu zeigen, dass wir sie vom Hals haben wollen.

[email protected] www.elfriedehammerl.com