Elfriede Hammerl: Gut drauf sein

Ist man depressiv oder bloß deprimiert, wenn man auf Trauriges mit Traurigkeit reagiert?

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Mein Lieblingswitz handelt von zwei Wiener Emigranten, die in den 1940er-Jahren in den USA sitzen und überlegen, was sie tun würden, wenn sie wieder in die alte Heimat könnten. „Als Erstes“, sagt einer, „als Erstes würde ich ins Kaffeehaus gehen und grantig schauen!“

Wie gut ich das nachvollziehen kann. Grantig zu schauen, war und ist in den USA verpönt. Man hat immer gut drauf zu sein, optimistisch, zuversichtlich, unbeirrbar sein Glück schmiedend – so gehört es sich. Sieger granteln nicht und grübeln nicht. Und wer wollte kein Sieger sein in einer Gesellschaft, die davon ausgeht, dass Gott auf Seiten der Tüchtigen und Erfolgreichen steht!

Sehr schön zeigt sich die gebotene Unbesiegbarkeit in dem rituellen Frage- und Antwortspiel, das wir aus amerikanischen Filmen und TV-Serien kennen. Da werden Menschen niedergeschlagen und angeschossen, brechen weinend zusammen oder wurden gerade ausgeraubt – und was fragen diejenigen, die sie auffinden und ihnen zu Hilfe eilen? „Alles okay?“, fragen sie. Alles okay? Und die Angeschossenen, Weinenden, Ausgeraubten antworten artig, mit zusammengebissenen Zähnen: „Alles okay.“

Der Subtext dazu geht so: „Hör zu, ich sehe ja, dass du gerade in der Scheiße sitzt. Aber komm bloß nicht auf die Idee, mich damit zu belästigen. Steck mich nicht an mit deinem Unglück! Reiß dich zusammen und behalte dein Leid für dich.“ Antwort: „Keine Angst, ich komme dir nicht zu nahe, und ich erwarte nicht, dass du mir näher kommst. Ich kenne die Spielregeln.“

Dahinter steht der – calvinistische – Glaube an die Gottgefälligkeit des Tüchtigen, der sich nicht unterkriegen lässt und dem die Welt gehört, wenn er nur will. Auf der anderen Seite des Spektums: die Tradition der Klageweiber. Heulen und Haareraufen, hemmungsloser Schmerz und Hingabe an das Unglück. Clash oft Cultures, in dem die Klageweiber zu unterliegen drohen. Denn längst ist der Calvinismus im Neoliberalismus aufgegangen und hat sich in dieser Form über den Globus verbreitet. Auch bei uns ist es nicht länger erwünscht, schlecht drauf zu sein. Sich zusammenzureißen, nützt der Wirtschaft. Das Prinzip des hemungslosen Wehklagens schadet ihr. Wer klagt, vergisst aufs Tüchtigsein.

Gehen wir vielleicht etwas großzügig mit der Diagnose „Depression“ um?

Natürlich hat es was Verlockendes, von der absoluten Kontrolle über das eigene Schicksal auszugehen, und davon, dass Glücklichsein der natürliche Urzustand des Menschen ist, in den sich jeder jederzeit versetzen kann, wenn er sich bemüht. Aber warum klappt das in der Realität so selten?

Immer mehr Menschen in Österreich, so stand kürzlich in den Zeitungen, nehmen Medikamente gegen Depressionen. Die Meldungen beriefen sich auf eine Studie der Donau-Universität Krems, wonach der Psychopharmaka-Umsatz zwischen 2006 und 2013 um 31 Prozent gestiegen ist. Die Grundlagendaten lieferte ein Arzneimittel-Marktforschungsinstitut, und eine Schlussfolgerung der Studienautoren lautete, dass es in Österreich eine geschätzte Million psychisch Kranker gäbe, die dringend behandelt werden müssten, nicht nur mit Antidepressiva, sondern auch durch Psychotherapie.

Dem ist insofern zuzustimmen, als der ausschließliche Einsatz von Medikamenten immer zweifelhaft ist, wenn es auch noch andere Methoden zur Krankheitsbekämpfung gibt. Davon abgesehen stellt sich allerdings die Frage: Gehen wir vielleicht etwas großzügig mit der Diagnose „Depression“ um? Ist es eine Erkrankung, nicht ständig gut drauf zu sein? Gehört es nicht auch zur menschlichen Natur, dass man sich mal mies und lustlos fühlt? Und ist man depressiv oder bloß deprimiert, wenn man auf traurige Ereignisse mit Traurigkeit reagiert? Falls man mit gutem Grund nicht strahlt und jubelt – reicht es dann aus, nur die eigene Stimmung zu bekämpfen?

Nein, das ist nicht der Versuch, die Krankheit Depression zu leugnen. Sondern das ist eine Warnung, in die Depressionsfalle zu tappen, wenn es in Wahrheit um gesellschaftliche Rahmenbedingungen gehen sollte. Die Aufforderung, positiv denkend mit jeder noch so misslichen Situation fertigzuwerden oder als Problemfall seine Psyche therapieren zu lassen, dient ja der Aufrechterhaltung des politischen Status quo. Steigende Belastungen am ­Arbeitsplatz und unsichere soziale Verhältnisse machen die Studienautoren mitverantwortlich für eine Zunahme psychischer Erkrankungen in ganz Europa. Hat was für sich. Aber wenn es so ist: Gehören dann die Symptome therapiert oder die Ursachen abgeschafft? Psychotherapie und Antidepressiva reduzieren Arbeitsstress nicht und schaffen keine soziale Sicherheit, allenfalls helfen sie, das Arbeitsleid besser zu ertragen.

Bringt schließlich auch was? Ja, vor allem denen, die vom Arbeitsleid des Prekariats profitieren. Deshalb: allgemeiner Optimismuszwang.

Sie da, alles okay? Ja, alles okay. (Bis auf die Kleinigkeit, dass mir jetzt ein Auge fehlt. Aber, hey, wer sagt denn, dass man es nicht auch mit einem Auge vom Tellerwäscher zum Millionär bringen kann? Die allersuperreichsten Millionäre haben bestimmt als einäugige Tellerwäscher angefangen!)